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02-2003
Ausgabe 02/2003
Veronika Bachmann Die biblische Vorstellungswelt und deren geschlechterpolitische Dimension – Methodologische Überlegungen am Beispiel der ersttestamentlichen Kategorien ‚rein‘ und ‚unrein‘
Abstract:
With a view towards methodology the author attempts to critically examine today’s feminist discussion about perceptions of pure and impure in the Hebrew Bible. In particular she directs her attention to the ongoing discussion by Christian feminists who look at the subject by taking issue with anti-judaism. On the other hand the author wishes to consider how we can find in general methodologies of analysing gender within the framework of the biblical world. Within the Christian feminist debate she criticizes the tendency of falling into at times even apologetical patterns of argumentation which are of no help in setting forth perspectives on how criticism of anti-judaism and feminist criticism can work together. Concerning the approach towards the ideology of gender, the author pleads for following up particular avenues of biblical discourse in a careful and sensitive way by continually keeping an eye on both positive and negative tendencies in ideologizing gender. [1]
Eine Kehrtwende, die Fragen aufwirft
Im Wörterbuch der Feministischen Theologie, wie es 1991 in der ersten Auflage erschienen ist, finden sich unter dem Stichwort ‚Reinheit/Unreinheit‘ folgende Aussagen [2] : Die Kategorien seien in Tabuvorstellungen eines archaisch-magischen Weltbildes verwurzelt, was sich dann im Buch Levitikus einseitig zu Ungunsten der Frauen manifestiere. Der Entwicklung, die Kategorien frauenfeindlich zu besetzen – gemäss des Artikels verstärkten sie sich in frühjüdischer Zeit zusätzlich –, habe jedoch die Jesustradition/das Urchristentum ein Ende gesetzt. Dies wird mit einem Verweis auf Mk 5,25-34 untermauert. Zu dieser neutestamentlichen Geschichte, in der sich eine Frau durch die Berührung des Gewandes von Jesus Heilung von Blutungen verschafft, die sie zwölf Jahre lang geplagt haben, findet sich der Kommentar: „Die Heilung wird als Missachtung der Reinheitsvorschriften, also als eine Tabuüberschreitung dargestellt. Nach der Tora hätte die Unreine Jesus nicht berühren dürfen“ [3] . Entgegen der Logik des Unreinheitsdenkens sei nicht Jesus unrein, sondern die Frau rein geworden.
In der gut zehn Jahre später erschienenen Neuauflage des Wörterbuchs wird ein ganz anderes Bild gezeichnet [4] . Ulrike Metternich, die den Bereich ¸Bibel und frühes Christentum´ bearbeitet hat [5] , stellt Bemerkungen zu den hebräischen Termini ṭâhôr (rein) und ṭāme᾽ (unrein) an den Anfang [6] : Sie grenzt sie von den Kategorien ¸sauber´ und ¸schmutzig´ ab, betont, dass „rituelle Unreinheit (...) niemals Sünde“ [7] sei und fügt – nun ganz gegen Fanders Einschätzung der ersttestamentlichen Texte – an: „Unrein zu sein bedeutet nicht, gesellschaftlich diskriminiert zu werden“ [8] . Auf diesem Hintergrund wendet sie sich der neutestamentlichen Exegese zu und warnt vor antijudaistischen Vorurteilen: So sei etwa gerade Mk 5,25-34 parr „nicht auf dem Hintergrund jüdischer Menstruationsvorschriften zu lesen. (...) Weder die Frau noch Jesus verletzten ein Reinheitsgesetz“ [9] . Metternich streicht heraus, dass es innerjüdisch zur Zeit Jesu eine grosse Meinungsvielfalt gegenüber den Un-/Reinheitsregelungen gegeben haben müsse und dass sich Jesus mit seiner Praxis durchaus innerhalb dieser Bandbreite bewegt habe. Verteidigt Metternich also die ersttestamentliche und frühjüdische Vorstellung von Un-/Reinheit gegenüber Vorwürfen, sie seien frauenunterdrückend, sieht sie solche Vorwürfe gegenüber der frühen Kirche gerechtfertigt. Diese nämlich sei es, die die levitischen Regelungen einseitig zu Ungunsten der Frauen ausgelegt habe, mit der Konsequenz, dass sich Menstruierende und Wöchnerinnen – analog zum Tempel und zum Opfer – weder der Kirche noch der Eucharistie nähern durften, eine Vorstellung, die in der katholischen Kirche bezüglich der Wöchnerinnen – Metternich denkt dabei wohl an den Brauch des Aussegnens – bis ins 20. Jh. hinein erhalten geblieben sei [10] .
Offensichtlich werden die geschlechterpolitischen Implikationen der biblischen Vorstellung von Un-/Reinheit in den zwei Wörterbuchartikeln sehr unterschiedlich eingeschätzt, und es fragt sich, was hinter dieser Kehrtwende steckt: Welches sind die genauen Gründe für die Abkehr von den früheren Thesen und wie lauten die Argumente, auf die die neue Sichtweise baut? Der Artikel von Metternich, wie er oben nachgezeichnet wurde, verweist auf die Antijudaismusdebatte. In der Folge werden wir sehen, dass diese tatsächlich zu unwiderruflichen Einsichten geführt hat, denen der ältere Artikel nicht Rechnung trägt. Nichtsdestotrotz tut aber auch eine kritische Sichtung der jüngsten Ergebnisse innerhalb der christlich-feministischen Diskussion Not: Einige problematische Aspekte, die ich unten ausführen will, sind, so meine These, symptomatisch dafür, dass im Eifer des Ringens um eine nicht-antijüdische Position die Frage, wie sich biblische Vorstellungskomplexe überhaupt geschlechterpolitisch ausloten lassen, oft unreflektiert bleibt. Gerade jedoch die Frage nach den konkreten Kriterien und dem Ziel des Befragens auf geschlechterpolitische Implikationen hin könnte gewissen argumentativen Unschärfen vorbeugen, die problematischen Deutungen Vorschub leisten. Schwergewicht dieses Artikels bildet demnach eine kritische Sichtung des aktuellen innerfeministischen Diskussionsstandes zur biblischen Un-/Reinheitsthematik. Diese wiederum soll in einige Überlegungen zur Frage münden, wie eine feministische Zugangsweise zu Aspekten der biblischen Vorstellungswelt aussehen könnte, die auch die problematischen Punkte des jüngsten Ansatzes zu überwinden vermag.
Generelle Schwierigkeiten eines Zugangs zur ersttestamentlichen Un-/Reinheitsthematik
In der biblisch-exegetischen Forschung lässt sich kaum ein Konsens ausmachen, was Erklärungs- und Systematisierungsmodelle zur ersttestamentlichen Un-/Reinheitsthematik betrifft. Meist begegnet man Versuchen, die Vorstellung von Un-/Reinheit zweipolig auszudifferenzieren, um sie als ganze besser fassen zu können: Die levitische Unreinheit wird z. B. einer spirituell-religiösen Unreinheit gegenübergestellt [11] , die kultische einer metaphorischen [12] , die rituelle einer gefährlichen [13], die tolerierte einer unerlaubten [14] , die P-Unreinheit einer H-Unreinheit [15] oder die rituelle einer moralischen [16] . Andere Arbeiten versuchen etwas bescheidener, zumindest hinter einzelnen Bereich, etwa den Speisegeboten (Lev 11), ein System zu entdecken [17] , gehen spezifischen Einzelaspekten der Reinheitsregelungen nach [18] oder streifen die ersttestamentliche Un-/Reinheitsthematik in der Auseinandersetzung mit Stichworten wie ‚heilig/Heiligkeit‘, ‚Sühne‘ oder ‚Opfer‘ [19] oder im Zusammenhang mit der Frage nach frühjüdischen und dann auch rabbinischen Innovationen gegenüber dem biblischen Rein-Unrein-Denken [20] . Weniger zentral als eben geschilderte Themen und Fragestellungen um Levitikus, aber dennoch sowohl in der ersttestamentlich-exegetischen wie in der judaistischen Forschung präsent sind im Zusammenhang mit der Un-/Reinheitsthematik Fragestellungen rund um Esra und/oder die Unreinheit der anderen Völker [21] .
Gesamthaft sticht die Tendenz ins Auge, Überlegungen zur biblischen Vorstellung von rein und unrein praktisch allein auf den Pentateuch, insbesondere auf das Buch Levitikus, abzustützen. Werden andere Textstellen in die Diskussion eingebracht, ist man – v. a. wenn sich die betreffenden Äusserungen ausserhalb des Kontextes von konkreten Reinheitsregeln bewegen – schnell einmal geneigt, diese als metaphorisch zu verstehen und ihnen einen geringeren Stellenwert zuzugestehen als dem Rein-Unrein-Denken, das als den Reinheitsregeln zugrundeliegend herausgearbeitet wird. Zum einen verdeutlicht eine Sichtung der herkömmlichen Forschung, dass zweifellos noch Forschungsbedarf besteht, was den methodologischen Zugang zur Thematik angeht. Zum anderen bleibt die Vielfalt von Deutungs- und Systematisierungsversuchen aber wohl auch einfach als Indiz dafür zu deuten, wie schwierig es ganz allgemein ist, einem Aspekt der Vorstellungswelt einer Kultur nachzugehen, die zwei bis drei Jahrtausende zurückliegt. Wie lässt sich ein möglichst adäquater Umgang mit der historischen wie kulturellen Distanz finden?
Als Crux v. a. bezüglich der historischen Distanz gestaltet sich die Quellenlage: Die Quellen beschränken sich vorwiegend auf schriftliches Material, konkret auf Ausschnitte biblisch-kanonischer Texte, wenn es im engeren Sinn um die biblische Vorstellungswelt gehen soll. Äusserungen zum Thema tauchen zum Teil sehr vereinzelt und innerhalb von bisweilen mit etlichen Unklarheiten behafteten Ko-Texten auf. Sie streifen verschiedenartigste Themen – es geht um die Qualifizierung nicht nur von Menschen in gewissen Situationen, sondern z. B. auch von Handlungen, Orten, Speisen, Materialien, Gegenständen oder gar religiösen Gemeinschaften – und finden sich in unterschiedlichen Textgattungen, nicht nur in Gesetzestexten also, sondern häufig auch in prophetischen und in gewissem Mass in narrativen Texten. Unter diesen Umständen ist es schwierig, überhaupt noch einen Massstab für die Vergleichbarkeit zu erheben. Neben der Frage nach dem Umgang mit der komplexen Quellenlage ist für den Dissens in der Forschung aber nicht zuletzt auch die Frage verantwortlich, welche anthropologischen Prämissen man den eigenen Überlegungen zugrunde legt. Bevor die eigentliche feministische Diskussion aufgegriffen wird, soll deshalb noch ein kurzer Blick darauf geworfen werden, wie sich ethnologisch-kulturanthropologische Disziplinen mit der Un-/Reinheitsthematik beschäftigen.
Reinheits- und Unreinheitsvorstellungen und die Regelungen, die sich daraus ergeben, werden in den Kulturwissenschaften in erster Linie als Schlüssel wahrgenommen, um kulturelle Muster aufzuspüren. Meist werden sie mit Vorstellungen über Klassen- und Geschlechtertrennung in Verbindung gebracht, mit dem spezifischen Krankheitsverständnis einer Gesellschaft, deren Vorstellung von Lebenszyklen, die dann entsprechende Initiationsriten erfordern, oder ihrem Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dass jede Kultur ihre eigenen Ausformungen von Regelungen kennt und sich die Forschung entsprechend einer „bewildering variety“ von Vorstellungen gegenübergestellt sieht, wird als „object lesson in the malleability of culture“ [22] gewertet. Von der Untersuchung einzelner Gesellschaften und ihrer Reinheits- und Unreinheitsvorstellungen abgesehen, schien es Forschende immer auch zu reizen, nach allgemeingültigen Erklärungsmodellen für die Kategorien ‚rein/unrein‘ zu suchen, wobei sich aber diese Erklärungsmodelle in verschiedenste Richtungen bewegen und insofern ihren Geltungsanspruch gegenseitig relativieren. Heute werden solche Erklärungsversuche deshalb eher dafür gewürdigt, unterschiedliche Aspekte zur Sprache zu bringen, die im Zusammenhang mit Reinheits- und Unreinheitsvorstellungen wichtig oder zumindest bedenkenswert sind. Für die Exegese erscheint mir eine Reflexion darüber nicht unwichtig, da sich AutorInnen für ihre Arbeiten meist mit einer grossen Selbstverständlichkeit auf eines dieser Erklärungsmodelle stützen.
Ein Erklärungsansatz besteht etwa darin, hinter den Kategorien ‚rein/unrein‘ ausschliesslich hygienisch- oder ökonomisch-praktische Gründe zu sehen. Kranke von Gesunden zu isolieren sei z. B. vom Ansteckungsrisiko her ganz vernünftig, wird angeführt, oder – um ein Beispiel für den ökonomisch-praktischen Erklärungsansatz zu nennen – ein Verbot, Insekten zu verspeisen, rühre ganz einfach daher, dass deren Nährstoffe durch andere Nahrung viel effizienter aufgenommen werden könnten [23] . Ein anderes Erklärungsmodell [24] argumentiert aus einer eher soziologischen Perspektive: Un-/Reinheitsregelungen werden stark in Zusammenhang mit den Machtstrukturen einer Gesellschaft analysiert und daher als „agents of social stratification“ [25] verstanden. Die Regelungen bilden nach dieser Auffassung einen der Orte, welche die sozialen Aufspaltungen und Ungleichheiten je nach Machtinteressen festsetzen, an denen diese sichtbar, umgekehrt aber auch anfechtbar werden. Weil die sozialen Ungleichheiten durch die Kategorisierung in ‚rein/unrein‘ naturalisiert werden, sei es jedoch grundsätzlich schwierig, die Verhältnisse zu ändern. Gerade in theologischen Arbeiten findet sich manchmal, was als dämonisch-magische Erklärung bezeichnet werden kann. Danach wurzeln Unreinheitsvorstellungen in Tabuvorstellungen, wobei das Tabu „ein durch übernatürlich-dämonische Macht bewirktes Unheil abwehren und vermeiden“ [26] soll.
Bis heute in der Exegese weitaus am meisten rezipiert wird die in den 60er Jahren entwickelte symbolistische Deutungsweise von Mary Douglas [27] . Die Autorin interpretiert dabei die Unterscheidung von ‚rein/unrein‘ als eine Art Grenzkontrolle analog zu den Vorstellungen der sozialen Ordnung einer Gesellschaft [28] . Wie die Vorstellung von Schmutz als „matter out of place“ [29] ein „set of ordered relations and a contravention of that order“ [30] impliziere, würden auch die Vorstellungen ‚rein/unrein‘ einem „interplay of form and surrounding formlessness“ [31] entspringen. Unreinheit tritt danach dort auf, wo einem Gesamtsystem sozialer Ordnung die grösste Gefahr droht, seine Strukturen zu verlieren, an seinen äusseren Grenzen und inneren Trennlinien [32] . Sie markiert Anomalie und Zweideutigkeit. Diesem Konzept entsprechend rücken Moral und Un-/Reinheitsregelungen teils sehr nahe zueinander bzw. arbeiten Hand in Hand: Unreinheitsvorstellungen können nach Douglas z. B. bei moralischen Übertretungen, bei denen der Täter oder die Täterin nicht mit einer starken moralischen Empörung rechnen muss, dazu beitragen, die öffentliche Meinung auf die ‚richtige‘ Seite zu schlagen, oder erreichen sogar, dass jemand aus Angst vor einer Verunreinigung eine moralische Übertretung gar nicht erst begeht [33] . Nach Douglas sind also Un-/Reinheitsvorstellungen in gesellschaftliche Gesamtsysteme eingebunden, bilden ein symbolisches System und üben über dieses eine soziale Funktion aus.
Eine generelle Diskussion exegetischer Methodenansätze und einzelner kulturanthropologischer Erklärungsmodelle würde den Rahmen dieses Aufsatzes bei weitem sprengen. Der Verweis auf einzelne Aspekte soll vielmehr darauf aufmerksam machen, wie grundlegende Problemfelder aussehen, wenn man sich – und dies gilt selbstverständlich auch für feministische Fragestellungen – mit der biblischen Un-/Reinheitsthematik befasst. Insbesondere gilt es darauf zu achten, dass gerade geschlechterpolitische Urteile immer auch von den Theorien zur Un-/Reinheitsthematik abhängen können, auf die man sich stützt, was wiederum zur Sorgfalt ruft, der Begründung einzelner Theorien genügend Beachtung zu schenken.
Die biblischen Kategorien ‚rein‘ und ‚unrein‘ im Blickpunkt unterschiedlicher feministisch-theologischer Diskussionen
1976 erschien Rachel Adlers Aufsatz ‚Tumah and Taharah. Ends and Beginnings‘. Die damals orthodox ausgerichtete jüdische Theologin legt darin die Regelungen um Reinheit und Unreinheit im positiven Sinn als ritueller Zyklus aus, der als „a way of learning how to die and be reborn“ [34] das Paradox von Sterblichkeit und Unsterblichkeit der Menschen zu lösen helfe. Zwar seien im Laufe der Geschichte durchaus frauenfeindliche Muster damit verwoben worden – indem die Regelungen z. B. nach der Zerstörung des Tempels einseitig an die Frauen gebunden worden seien. In Anbetracht dessen jedoch, dass „tumah/tahara remains one of the few major Jewish symbolisms in which women had a place“ [35] , erachtet sie es als zentral, dass Frauen und Männer die Regelungen in ihrem ursprünglichen Sinn pflegen bzw. wieder aufgreifen. 17 Jahre später äussert sich Adler, unterdessen feministische Reformtheologin, ganz anders [36] . Ihre damaligen Äusserungen, meint sie, hätten die soziale Tatsache übersehen, dass „purity and impurity do not constitute a cycle through which all members of the society pass (...). Instead, purity and impurity define a class system in which the most impure people are women“ [37] . Als Konsequenz verwirft sie jedoch die Vorstellung von Reinheit und Unreinheit und deren rituelle Ausdrucksmöglichkeiten nicht grundsätzlich, sondern fordert zu einem Ringen mit der Tora auf: Die Welten ihrer Regeln seien nicht mehr diejenigen, die wir heute bewohnen, so dass „I must learn what purity can mean in my own world and in the most human world I can envision“ [38] .
Adlers mittlerweile vielzitierte Arbeiten verdeutlichen, dass die ersttestamentlichen Texte zur Un-/Reinheitsthematik als Schnittstelle verschiedener feministischer Debatten fungieren. Zum Tragen kommt dabei vor allem die Tatsache, dass die Texte heute Grundlage zweier unterschiedlicher Religionen, des Judentums und des Christentums, sind. Je nach Religionstradition, der sie angehören, sehen sich FeministInnen mit unterschiedlichen Fragekomplexen konfrontiert: Für jüdische TheologInnen brechen an der Un-/Reinheitsthematik, wie wir bei Adler sehen, insbesondere Fragen nach der religiösen Identität auf: Wodurch ist eine Frau Jüdin? Was soll oder kann für sie ‚Tradition‘ bedeuten, und welche Schlüsse soll sie daraus für ihre Lebensweise und religiöse Praxis ziehen [39] ? Demgegenüber sieht sich der christlich-feministische Diskurs, wie er unten ausgehend von Metternichs Wörterbuchartikel noch genauer aufgerollt werden soll, in erster Linie durch die Antijudaismusdebatte gezwungen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Brisanz geht dabei vor allem von Interpretationen neutestamentlicher Perikopen, z. B. der bereits erwähnten Geschichte von der Heilung der ‚Blutflüssigen‘, aus. Auch hier geht es natürlich um die Frage nach dem Selbstverständnis von Frauen, diesmal christlicher Frauen, wobei zugleich Fragen der Christologie und der Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum tangiert werden.
Durch die heutige Praxis bedingt, konzentriert sich die jüdisch-feministische Debatte stark auf den Bereich der Menstruationsregeln, der niddah-Regelungen, wie sie nach den rabbinischen Schriften genannt werden [40] . Da die heute vorwiegend von orthodoxen Jüdinnen und Juden praktizierten Regeln in ihren spezifischen Konkretisierungen und Gewichtungen vorwiegend der klassisch-jüdischen Periode entstammen [41] – zu dieser Zeit tauchen denn auch erstmals Versuche auf, den Regelungen praktischen Sinn zu verleihen [42] –, stehen, wenn Textquellen untersucht werden, oft rabbinische und nicht primär biblische Texte im Zentrum. Wie Adlers Positionswechsel bezeugt, finden sich, was geschlechterpolitische Einschätzungen der Regelungen angeht, durchaus gegensätzliche Lager. In der Literatur wird deshalb oft ein so genanntes apologetisches einem so genannten polemischen Lager gegenübergestellt [43] .
Christinnen und die ‚jüdischen‘ Regelungen: Gefahr antijudaistischer Projektionen
Die innerfeministische Auseinandersetzung mit Antijudaismus wurde in den 70er Jahren von jüdisch-feministischen Autorinnen in den USA angestossen, in Deutschland kam die öffentliche Diskussion dann in der zweiten Hälfte der 80er Jahre richtig in Gang [44] . Ein erster Schritt der Auseinandersetzung bestand darin, die von der vorherrschenden Theologie übernommenen antijudaistischen Grundmuster und natürlich speziell die „alten Muster in neuem Gewand“ [45] zu benennen. Nach Katharina von Kellenbach, die sich in ihrer Dissertation antijüdischer Tendenzen christlich-feministischer Theologie annahm, gibt es drei Formen, wie es zu problematischen Vorstellungen vom Judentum kommen kann [46] : Eine erste Form bestehe darin, das Judentum antithetisch dem christlichen Glauben und christlichen Werten gegenüber zu setzen („Judaism as antithesis“ [47] ), eine zweite darin, das Judentum als Sündenbock für das Patriarchat zu definieren („Judaism as scapegoat“ [48] ). Bei der dritten Form schliesslich werde die wesentliche Rolle des Judentums auf die Vorgeschichte des Christentums beschränkt („Judaism as prologue“ [49] ).
Mit dem Vokabular von Kellenbach gesprochen tritt Antijudaismus im Bereich von Un-/Reinheit als Muster „Judaism as antithesis of early Christianity“ [50] auf und betrifft, schaut man ihre diesbezüglichen Beispiele an, in der Tat Deutungen der Art, wie wir sie oben beim ersten Wörterbuchartikel zu Mk 5,25-34 vorgefunden haben: Jesu Verhalten wird als befreiend-christlich interpretiert, indem man es als nichtjüdisch darstellt. Es wird postuliert, dass die Frau dadurch, wie sie sich in der Geschichte verhält – Jesus zu berühren wird wegen ihrer Blutung als unbotmässig angesehen –, üblicherweise sozial ausgegrenzt worden wäre. Jesus habe demnach, um für die Frau Partei zu ergreifen, typisch jüdische (Verhaltens-)Regeln durchbrochen [51] . Letztlich suggeriert diese Deutungsweise also auch, dass die Motivation von Frauen, sich der Jesusbewegung anzuschliessen, wesentlich durch das Bewusstsein geprägt war, einer geschlechtergerechteren religiösen Gruppierung als der bisherigen beizutreten.
Positionen, die das Christentum triumphalistisch-pauschal als frauenfreundlicher über das Judentum stellen, werden z. B. heftig von Amy-Jill Levine [52] kritisiert. Sie führt vier Punkte aus, die in Arbeiten über Frauen im antiken Judentum und Christentum besser bedacht werden müssten: Erstens seien, betrachte man die Quellen sorgfältig, viele jüdische Gruppierungen zur Zeit des Zweiten Tempels viel offener gegenüber Einflüssen und der Partizipation von Frauen gewesen als dies häufig angenommen werde, was gerade bei Untersuchungen über die Un-/Reinheitsregelungen nicht übersehen werden dürfe [53] . Zweitens müsse der Tatsache ins Auge gesehen werden, dass gewisse Richtungen innerhalb der Jesusbewegung – vielleicht auch Jesus selbst – geschlechterpolitisch gar nicht so egalitär eingestellt gewesen seien, wie viele postulierten [54] . Drittens sei zu bedenken, dass die frühchristliche Bewegung für Frauen aus den gleichen Gründen wie für ihre Väter, Söhne, Brüder etc. anziehend sein konnte und nicht unbedingt mit Überlegungen zu ihrem Frausein zusammenhängen musste [55] , und viertens sei ganz allgemein auf „a greater methodological awareness of the apologetic effects of comparison“ [56] zu achten: Eine Gruppierung, sei es das Judentum oder das Christentum, als ‚besser‘ für Frauen als alternative Bewegungen hinzustellen, bedeute gerade nicht, auf Frauen und ihre Traditionen einzugehen. Alle Frauen einer Bewegung würden damit in einen Topf geworfen, Judentum wie Christentum auf monolithische Systeme reduziert und die Frauen, die im ‚falschen‘ System lebten, als „misguided, coopted by patriarchalism, or children of the devil“ [57] schubladisiert. „Comparison, especially in case-specific analysis, is a helpful interpretive tool for the historian. Triumphalism is not“ [58] , betont sie.
Die Kritik an Forschungsansätzen mit antijüdischen Tendenzen verdeutlicht einerseits, wie stark Kritik und inhaltliche Forschung zusammenhängen. Andererseits stellt sie klar, dass, um Antijudaismusfallen zu umgehen, nicht einfach nach ‚Rezepten‘ gearbeitet werden kann, sondern nur nach gewissen Leitlinien, die wiederum für jeden Fachbereich und jede Fragestellung überdacht und konkretisiert werden müssen [59] . Als zentraler Punkt kristallisiert sich die Forderung nach einer „möglichst gründlichen Fühlungsnahme mit der Geschichte des Judentums sowie mit dem Selbstverständnis heutiger Jüdinnen und Juden“ [60] heraus, die jedoch weder in einen unkritischen noch einen romantisierenden Philojudaismus münden darf. „Legitimate criticism is well-balanced, mindful of the context, limited in scope, not selective and willing to engage in dialogue. It maintains a basic level of respect and explicitly resists being used to justify hatred and injustice“ [61] , führt etwa Katharina von Kellenbach dazu an. Wie also ein gewisses ‚Gratwandern‘ im Bestreben, Antijudaismus aus eigenen Arbeiten auszuklammern, unvermeidbar erscheint, wird wohl auch immer ein kritischer Dialog darüber notwendig sein, was die unterschiedlichen Sensibilitäten bezüglich der Frage, wo Antijudaismus beginnt bzw. wo er endet, betrifft [62] .
Richten wir den Fokus zurück auf die Un-/Reinheitsthematik, interessiert nun natürlich, wie speziell in diesem Bereich der Versuch, die Antijudaismusproblematik anzugehen, angepackt worden ist. Sind in der Literatur gewisse generelle Strategien auszumachen?
Gegenstrategien
Überblickt man einschlägige Arbeiten – fast alle beschäftigen sich mit Mk 5,25-34 parr und demnach vorwiegend mit den Regeln zur Menstruation –, lassen sich in der Tat zwei Strategien erkennen, neue Interpretationswege zu finden: Die eine besteht darin, die Reinheitsvorschriften sorgfältiger als bisher zu untersuchen und zu fragen, ob sie tatsächlich so frauenunterdrückend waren wie oft selbstverständlich postuliert wird. Wenn sie dies nämlich nicht gewesen sind – so lautet wohl die Überlegung, die dahinter steckt –, kann Jesus auch nicht mehr als Befreier aus Missständen proklamiert werden, die auf spezifisch jüdische Regeln zurückzuführen sind [63] . Natürlich müsste in diesem Fall neu über die Deutung einer Geschichte wie Mk 5,25-34 nachgedacht werden, womit bereits die zweite Strategie in den Blick kommt. Diese besteht darin, zu prüfen, ob der Text über die Frau mit der Blutung überhaupt so eindeutig auf eine Auseinandersetzung mit jüdischen Reinheitsgesetzen abzielt oder ob sie auch ohne direkten Zusammenhang damit gedeutet werden könnte. Wäre Letzteres der Fall, könnte erstens wie bei der ersten Strategie die Betonung der Abgrenzung Jesu von negativ gedeuteten spezifisch jüdischen Regeln entschärft, zweitens aber auch die heikle Frage um die Geschlechtergerechtigkeit der jüdischen Reinheitsregelungen als ganze elegant umschifft werden [64] . Da es hier erstens vor allem um die Auseinandersetzung mit der ersttestamentlichen Vorstellungswelt gehen soll und zweitens die Frage interessiert, wie zu gewissen Aspekten dieser Vorstellungswelt speziell deren geschlechterpolitischen Implikationen nachgegangen werden kann, wird der Fokus im Weiteren nur auf die erste Strategie gerichtet werden. Kritisch sichten lässt sich diese Strategie gut am Beispiel der Arbeiten von Ulrike Metternich und Ina Johanne Batmartha (Petermann), denn bei diesen zwei Autorinnen finden sich die detailliertesten Argumente dafür, die geschlechterpolitischen Implikationen der ersttestamentlichen Vorstellung von rein und unrein als unproblematisch zu deuten.
Die Un-/Reinheitsregelungen geschlechterpolitisch unproblematisch? Metternichs und Batmarthas Argumente
Da sich Metternich in ihrer Dissertation mit Mk 5,25-34 parr beschäftigt, geht es ihr vor allem um den Nachweis, dass die Menstruationsregeln in neutestamentlicher Zeit gar nicht so frauendiskriminierend waren wie oft angenommen. Anders aber als Autorinnen wie z. B. Evi Krobath, die vor allem einmal darauf aufmerksam machen, dass gängige Interpretationen, wie etwa jene von Fander, zu vorschnell heutige Kategorien in die Vergangenheit bzw. auf eine andere religiös-kulturelle Grösse übertragen [65] , versucht Metternich, dem Quellenmaterial zu jüdischen Menstruationsvorschriften systematisch nachzugehen, und zwar von ersttestamentlichen Texten über frühjüdische, mischnaische und talmudische Texte bis hin zu gegenwärtigen innerjüdischen Diskussionen [66] . Bezüglich der neutestamentlichen Zeit kommt sie zum Schluss, „dass jüdische Frauen (...), auch während der Menstruation, ihren Alltag ohne Einschränkungen gestalten konnten. Sie galten weder als Gefahrenquelle, noch wurden sie gesellschaftlich geächtet. Ich nehme an, dass menstruelle Blutungen, ähnlich wie heute, kein öffentliches Gesprächsthema waren und deshalb nur die unmittelbaren Familienangehörigen um den Zyklusstand einer Frau wussten. Da der Gang zum Tempel nicht eine alltägliche Aufgabe einer jüdischen Frau war, wird für sie der Verzicht auf Geschlechtsverkehr die einzige konkrete Auswirkung ihrer Blutungen gewesen sein“ [67] . Dieses Fazit zieht Metternich in erster Linie aufgrund des ersttestamentlichen und mischnaischen Textbefundes. Zu Ersterem meint sie Folgendes [68] : Dass eine Frau wie diejenige in Mk 5,25-34 als unrein galt, daran zweifelt Metternich aufgrund von Lev 15,19-33 nicht. Dass diese Unreinheit jedoch frauendiskriminierend sein sollte, bestreitet sie mit folgenden zwei Argumenten vehement: Sich auf Lev 15 als ganzes Kapitel stützend, weist sie erstens darauf hin, dass es Reinheitsregelungen für Männer wie für Frauen gab. Zweitens würden die Regelungen um Wohnungseinrichtungen wie Bett und Sitzplatz zeigen, dass Frauen im Zustand der Unreinheit gar kein „separates Leben“ [69] zu führen hatten, sondern wie üblich daheim leben konnten. Im Anliegen um ein revidiertes Verständnis der Un-/Reinheitsregeln betont Metternich zudem, dass man der Frau in Mk 5,25-34 wegen ihrer Berührung von Jesus nach biblischem Verständnis in keiner Weise einen Gesetzesbruch vorwerfen könne. Gesetzlich sei biblisch nur der Geschlechtsverkehr mit einer Menstruierenden unter ein Verbot gestellt worden, hält sie im Verweis auf Lev 18,19 und 20,18 fest. Für andere Kontakte mit Unreinen würden die Reinigungsregeln ja gerade bezeugen, dass sie im Alltag durchaus möglich waren [70] .
Batmarthas Arbeit [71] weckt besonderes Interesse, weil sie sich bezüglich der Frage, ob die Un-/Reinheitsregelungen wirklich frauendiskriminierend seien, auf das Erste Testament beschränkt und für einmal nicht von der in der Diskussion sonst omnipräsenten Markusstelle ausgeht. Zudem beruft sich Metternich an einigen Stellen auf diese Untersuchung. Batmarthas Anliegen besteht darin, die „Kultbestimmungen in ihrem eigenen Kontext zu erfassen, bevor die Frage nach möglichen misogynen Tendenzen aufgeworfen wird“ [72] . Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen die Regelungen zu genitalen Emissionen (Lev 15), diejenigen zur Wöchnerin (Lev 12) und der Begriff niddah als Metapher.
Bei Lev 15 stellt die Autorin in einem ersten Schritt die Gemeinsamkeiten der Regelungen für Männer und Frauen zusammen, bevor sie auf geschlechterspezifische Differenzen eingeht, deren sie drei ausmacht: Als erste Differenz nennt sie die Unterschiede bei der sekundären Weitergabe der Unreinheit an Personen bei einer Berührung durch eine unreine Person. Daraus beispielsweise, dass es für Männer mit einem Ausfluss die Regel gebe, dass eine Berührung nach dem Abspülen der Hände mit Wasser kein Problem sei (V. 11), eine solche Regel jedoch für Frauen fehle, zieht sie die Folgerung, dass bei diesen „wohl schon eine zufällige Berührung (נגע) zur Weitergabe der Kult-Unpässlichkeit“ [73] genüge. „Da die Frau aber sowieso das Haus hütet, bedeutet das keine grössere Beeinträchtigung ihrer Aktivitäten“ [74] , meint sie dazu. Als zweite Differenz weist sie darauf hin, dass es für die Unreinheit der Frau den speziellen Begriff niddah gebe. Obwohl die Etymologie darauf verweise, dass es einmal den Brauch einer räumlichen Absonderung der Menstruierenden gegeben habe – sie verweist dazu auf Num 5,2-4; Dtn 23,10ff. und auf M Nid VII,4 –, habe die Praxis zur Zeit der Abfassung von Lev 15 so ausgesehen, dass Frauen „den gewohnten Tätigkeiten im eigenen Hause“ [75] nachgehen konnten. Als dritte Differenz erwähnt sie schliesslich Unterschiede beim Passierritus bei Männern mit Ausfluss und Frauen mit nicht-menstrueller Blutung: Erstens sei bei den Frauen kein Körperbad nötig, und zweitens sei nur bei den Männern davon die Rede, dass sie beim Gang zum Heiligtum „vor das Angesicht YHWHs“ (lipnê YHWH) treten würden (V. 14). Auf diese Feststellung hin streift sie kurz die Frage, ob Lev 15 eine Zurückdrängung der Frau aus dem YHWH-Kult anzeigen könnte, meint dazu aber ohne grössere Ausführungen, dass diese Frage schwer zu beantworten sei, und hält fest, dass Lev 12 und 15 immerhin „die aktive Kultteilnahme der Frau bezeugen, die genauso wie der Mann Opfer darreicht!“ [76]
Für Lev 12 stellt Batmartha mit dem Hinweis darauf, dass der Text die Bedeutung des Geburtsereignisses für die Frau nicht reflektiere, erst einmal die androzentrische Sichtweise heraus. Die Regelungen selber interpretiert sie als nicht speziell frauendiskriminierend: Bei der ersten Phase der Unreinheit, die bei einer Knabengeburt sieben Tage, bei einer Mädchengeburt zwei Wochen dauert und nach Batmartha das Verbot von Geschlechtsverkehr beinhaltet, betont sie in der Art von Krobath den Schutzaspekt für die Zeit unmittelbar nach der Geburt [77] . Zum Unterschied zwischen Mädchen- und Knabengeburt meint sie, dass die Erklärung dafür vermutlich „einfach in der kulturübergreifenden Höherbewertung des männlichen Geschlechts“ [78] liege; damit sei aber keinesfalls eine Bestrafung für eine Mädchengeburt intendiert. Als Letztes geht sie auf die Opferungen ein und unterstreicht, dass sich diese „nicht etwa aus der ‚Sündhaftigkeit‘ der Geburt oder der Sexualität“ erklären, sondern „einen echten Passierritus, der den Übergang in den kultfähigen Status markiert“ [79] , darstellen würden.
Zum Thema niddah als Metapher beschränkt sich Batmartha auf eine kurze Untersuchung von Esra 9,11 [80] . Mit Hinweis auf Ez 36,17f. stellt sie fest, dass niddah als Metapher bisweilen zweifellos eine negative Einstellung zur Unreinheit durch Menstruation dokumentiere. Bei Esra diene der Begriff der „pauschalen Denunzierung der ‚Anderen‘“ [81] . Sie vermutet, dass sich die Metaphernwahl tatsächlich aus dem realen Nichtbeachten der Kultregeln durch angeheiratete ‚fremde‘ Frauen ergeben habe und als Zeichen eines Paradigmenwechsels zu interpretieren sei: Hätten die deuteronomistische und prophetische Metapher der Hurerei noch für apostatische Untreue gestanden, könne niddah darauf hinweisen, dass nun bereits „die Observanz des priesterlichen Kultgesetzes zum Schibboleth der כהל הגולה geworden“ [82] sei. „Beibehalten bleibt im Paradigmenwechsel die symbolische Schuldzuweisung an eine weiblich imaginierte Grösse (die untreue Geliebte des Gottes, die nichtobservante Frau)“ [83] , schliesst sie diesen Teil ihrer Abhandlung, ohne sich jedoch weiter zu fragen, was dies für nicht-imaginierte, sondern real existierende Frauen, ob ‚fremd‘ oder nicht, bedeutet haben könnte.
Batmarthas Auswertung des Materials am Ende ihres Aufsatzes beschränkt sich, wenn es um die geschlechterpolitischen Konsequenzen geht, erstaunlicherweise allein auf die Frage nach den unterschiedlichen Karenzzeiten von Frauen und Männern, die in Lev 12 und 15 thematisiert werden. Weil es sich bei Samenerguss und Menstruation um unterschiedlich lang andauernde Phänomene handle, betrachtet sie die Unterschiede als legitim und verweist darauf, dass nach diesen Regelungen Männer in ihrem Leben sogar öfter in den Status der Unreinheit geraten könnten als Frauen und Letztere somit nicht anfälliger für Unreinheit seien als Männer [84] . Diskriminierungen, die das Kultgesetz enthalte, lägen „auf der Ebene der Gesellschaftsorganisation (oder sind Produkt einer Hermeneutik des Argwohns)“ [85] , meint sie und beendet ihren Aufsatz mit der Forderung an ChristInnen, die Fremdheit der Kultbestimmungen als religiöse Differenz zwischen Christen- und Judentum stehenzulassen. Kritik auf geschlechterpolitischer Ebene wird damit also grosso modo als illegitim gewertet.
Die Argumente begutachtet
Metternichs und Batmarthas Standpunkte sind insofern positiv zu werten, als sie veranschaulichen, dass der Eindruck, die biblischen Reinheitsregelungen seien insbesondere für Frauen problematisch, sicher einer genaueren Überprüfung und je nachdem einer Revision oder Differenzierung bedarf. Verschiedene Vorstellungen können nicht mehr aufrecht erhalten werden: etwa diejenige, dass die Regeln nur Frauen im Visier hätten, diejenige, dass sich im Unreinheitszustand befindliche Menschen unmittelbar gedemütigt oder beschämt fühlen müssten [86] , oder diejenige, dass jeglicher Kontakt einer so genannten reinen Person mit einer unreinen oder umgekehrt einen Gesetzesbruch und insofern ein Verbot darstellen müsse. Aus den Arbeiten wird zudem klar, dass es nicht mehr angeht, die heutige vorwiegend negativ gefärbte Wortbedeutung von ‚unrein‘ unhinterfragt auf den biblischen Begriff zu übertragen oder genauso unhinterfragt anzunehmen, dass die Un-/Reinheitsregeln und -vorstellungen positive Aspekte a priori ausschlössen [87] .
Dass Batmarthas wie Metternichs Beobachtungen das Urteil, die biblischen Un-/Reinheitsvorstellungen und diesbezüglichen Regelungen seien geschlechterpolitisch unproblematisch, bereits hinreichend zu rechtfertigen vermögen, bezweifle ich hingegen, womit ich auf einen ersten Einwand gegenüber den beiden Autorinnen und ihrer Strategie zu sprechen komme. Regeln sind kaum vor Geschlechterungerechtigkeiten gefeit, bloss weil es solche für Frauen und Männer gibt, und sie sind auch allein dadurch noch nicht geschlechtergerecht, dass sich z. B. Frauen nicht ausdrücklich isolieren mussten [88] . Deborah Rhode hat darauf hingewiesen, dass es bei feministischer Kritik darum geht, die „Differenz, die durch die Differenz erzeugt wird“, kritisch unter die Lupe zu nehmen [89] . Auch Unterschiede wie derjenige, ob jemand ‚vor YHWH‘ zu kommen hat oder eben nicht, können danach nicht einfach mehr als irrelevant übergangen werden, so wie es eine Aufgabe bleibt, sich mit der Verquickung von Regeln und patriarchaler Gesellschaftsorganisation, so kompliziert sie sich gestaltet, auseinander zu setzen. Bei der Frage nach konkreten geschlechterpolitischen Konsequenzen hilft weder Batmarthas Strategie, zugespitzt gesagt ‚unschuldige‘ Regeln von einer ‚bösen patriarchalen‘ Gesellschaft abzutrennen, noch das generelle Ausblenden geschlechterpolitischer Ambiguitäten weiter, eine Tendenz, die in meinen Augen bei Metternich auftritt.
Was mich bei beiden Autorinnen erstaunt, ist weiter die Tatsache, dass sie bezüglich des biblischen Materials kaum diachrone Überlegungen anstellen. Gerade wenn es darum geht, gesellschaftlichen Wertvorstellungen auf die Spur zu kommen, was bei unserer Frage klar der Fall ist, wäre ein diachroner Blickwinkel m. E. zentral. Immerhin verweist Batmartha mit dem Stichwort ‚Metapher‘ auf unterschiedliche Ebenen der Begriffsverwendung, weicht aber der Frage grösstenteils aus, inwiefern unterschiedliche Anwendungen oder andere Besonderheiten in Bezug auf den Gebrauch der Begriffe an speziellen gesellschaftlichen Gruppierungen oder eben an unterschiedlichen zeitlichen Phasen aufgehängt werden könnten. Eine fast ausschliesslich synchrone Perspektive suggeriert m. E. allzu schnell wieder die eben kritisierte, Geschlechterungerechtigkeiten sehr leicht entschuldigende Vorstellung von einer Gesellschaftsordnung, die halt einfach patriarchal ist – und dies scheinbar immer im selben Mass und mit denselben Konsequenzen, weshalb diese Konsequenzen schliesslich als normal ausgeblendet werden können[90].
Speziell bei Batmarthas Arbeit kann zudem das Frauenbild kritisiert werden, von dem die Autorin ausgeht. Dieses scheint gerade einmal die Realität einer ‚Hausfrau‘ zuzulassen, die sich Zeit ihres Lebens allein innerhalb der wenigen Quadratmeter ihrer Wohnstätte bewegt – schon die biblischen Bücher selber schildern durchaus variantenreichere Lebensrealitäten, und die Frauenforschung ist daran, selbst diese Varietät nochmals aufzusprengen [91] . Mittels ihres engen Frauenbildes vermag Batmartha zwar die Herausforderung zu umgehen, die Reinheitsregeln auf dem Hintergrund vielfältigerer Lebensrealitäten von Frauen als geschlechterpolitisch unproblematisch rechtfertigen zu müssen, macht sich damit in meinen Augen aber die Arbeit zu einfach.
Speziell bei Metternich wirkt befremdlich, dass sie sich bloss für die jüdische und frühchristliche Beurteilung der Menstruation und sowieso nur für die Menstruationsregeln zu interessieren scheint. Un-/Reinheitsvorstellungen des griechisch-römischen Kontextes als Vergleichsgrössen geht sie nicht nach. Da es in der Forschung sehr unterschiedliche Einschätzungen bezüglich dieses Zusammenspiels von Vorstellungen gibt, wäre es im Rahmen ihrer Arbeit m. E. angebracht gewesen, auch Untersuchungen in diese Richtung miteinzubeziehen [92] .
Als letzten Kritikpunkt möchte ich Batmarthas Votum aufgreifen, die Kultbestimmungen zu rein und unrein als fremd stehen zu lassen. Auch die Vorstellung, „dass das Blut des manngewordenen Gottes Sühne zu schaffen vermag“ [93] müsse jüdischen Menschen fremd bleiben, meint sie. Wenn ich Batmartha recht verstehe, geht es ihr im Wesentlichen um das Ernstnehmen religiöser Differenzen, in diesem Fall um Differenzen zwischen Judentum und Christentum. So berechtigt dieses Anliegen ist, ihr Votum scheint mir im konkreten Fall dennoch problematisch zu sein.
Das Anliegen, religiöse Differenzen ernst zu nehmen, wirft eine grundsätzliche Frage auf, vor der theologisch Arbeitende stehen: die Frage nach dem unumstösslichen Kern einer Religion. Bei den Antworten darauf ist es m. E. wichtig zu realisieren, dass der Kern manchmal von aussen viel fester erscheint als aus einer innerreligiösen Perspektive. Wie der kurze Blick auf die jüdisch-feministische Debatte oben gezeigt hat, gibt es beispielsweise Angehörige der jüdischen Religion, die stark mit gewissen ‚jüdischen‘ Regelungen ringen. Desgleichen gibt es durchaus ChristInnen, die z. B. mit der Vorstellung des ‚Sühneschaffens eines manngewordenen Gottes‘ ihre Mühe bekunden und andere Punkte als wesentlich für ihren christlichen Glauben ins Zentrum stellen. Befremdlichkeiten und die Auseinandersetzung damit gehören auch zur eigenen Religion. Um auf Batmarthas Votum zurückzukommen, erachte ich es deshalb als fraglich, ob wir christlichen Theologinnen jüdische Theologinnen wirklich ernstnehmen, wenn wir uns über Zweifel, die in ihren eigenen Reihen auftauchen, aus Respekt vor ihrer Religion, die sich somit als Entität verselbständigt, einfach hinwegsetzen. Falls die Angst vor Antijudaismus dazu führt, heikle Punkte nicht anzusprechen oder gar in apologetischer Manier unter den Tisch zu wischen, so sollte obige Schilderung der Antijudaismusdebatte klargemacht haben, dass Kritik an jüdischem Überlieferungsgut nicht per se antijüdisch sein muss. Wissenschaftliches Arbeiten kann nicht bedeuten, Kritik zu vermeiden, wo es geht, sondern muss die Suche nach Formen einer respektvollen und konstruktiven Kritik implizieren, eine Suche, die am ehesten durch eine offene und möglichst vielstimmige Diskussion Früchte tragen kann, auch wenn dieser Weg die Gefahr birgt, sich bisweilen die Hände an heissen Eisen zu verbrennen.
Die Kriterienfrage oder: Worauf beruhen geschlechterpolitische Überlegungen?
In Metternichs und Batmarthas Arbeiten ist eine beachtliche Vehemenz im Ankämpfen gegen mögliche Argumente auszumachen, welche die jüdische Vorstellung von Un-/Reinheit auf geschlechterpolitischer Ebene in ein schlechtes Licht rücken könnten. Dass sie dadurch mit gewissen problematischen Interpretationsmustern aufräumen, ist, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, zweifellos positiv zu werten. Problematisch erscheint dagegen, dass sich eine Tendenz abzeichnet, dem Schwarzmalen früherer Arbeiten sozusagen ein Weissmalen gegenüberzusetzen – wodurch riskiert wird, trotz gegenteiliger Bekundung Unachtsamkeiten in der Argumentation zu verfallen, wie man sie bei der Gegenseite kritisiert hat. Eine gewichtige Unschärfe, die der Möglichkeit Vorschub leistet, in gewissem Mass beliebig zu argumentieren, ergibt sich m. E. daraus, dass die geschlechterpolitischen Beurteilungskriterien ungeklärt bleiben. Aber Metternichs und Batmarthas Arbeiten stehen hierin nicht alleine da: Auch in feministischen Arbeiten, die sich ausserhalb der Antijudaismusdebatte mit der ersttestamentlichen Un-/Reinheitsthematik beschäftigen, werden diese Kriterien kaum explizit benannt. Immerhin lassen sich, überblickt man ein grösseres Spektrum an Arbeiten, verschiedene Akzentsetzungen ausmachen. In der Hoffnung, dass eine Reflexion über die Basis, worauf Urteile gebaut werden, mithelfen kann, für eine auf geschlechterpolitische Implikationen fokussierte Forschung immer tragfähigere methodologische Perspektiven zu entwickeln, sollen diese Akzentsetzungen in der Folge, typologisch in vier Modelle gefasst, kurz umschrieben werden.
a) Beim ersten Modell stellt die geschlechterpolitische Beurteilung gewissermassen ein Summendifferenzspiel dar: Es wird versucht, die Regeln für Männer und die Regeln für Frauen quasi statistisch nebeneinander zu stellen, zu vergleichen und die Differenzen, die sich daraus ergeben, zu beurteilen. Dieser Ansatz lässt sich z. B. bei Batmartha ausmachen. Hat man ein in sich geschlossenes und umfassend ausformuliertes Regelsystem vor sich, erscheint dies denn auch als vernünftigste Vorgehensweise. Auf die ersttestamentlichen Texte angewendet, stellen sich allerdings einige Fragen: Erstens ist fraglich, ob ein Text wie z. B. Lev 15, der bei diesem Beurteilungstypus meist im Zentrum steht, überhaupt so klar ausformuliert ist, wie es diese Aufrechnung erfordert. Dass teils beträchtliche interpretative Schlüsse notwendig sind, um verschiedene Punkte überhaupt vergleichen zu können, sollte bereits aus obiger Skizzierung von Batmarthas Arbeit klar geworden sein. Zweitens wird mit diesem Typ allein noch nicht klargestellt, welches die konkreten Beurteilungskriterien dafür sind, die Differenzen, wie es Batmartha grösstenteils tut, zu relativieren oder darin tatsächlich eine Geschlechterungerechtigkeit zu sehen: Weshalb soll eine längere Karenzzeit bei der einen Geschlechtsgruppe gegenüber einer kürzeren bei der anderen Gruppe nicht oder eben doch ungerecht sein? Oder weshalb soll es keine Rolle spielen, ob die einen zur Entsühnung nicht wie die anderen ‚vor YHWH‘ zu kommen haben – oder spielt dies geschlechterpolitisch eben doch eine Rolle? Als weiterer Punkt fällt auf, dass bei einem solchen Vorgehen die Frage nach dem Verhältnis von Text und Realität nicht unbedingt geklärt wird. M. E. wird zu schnell nahegelegt, dass aus einem Einzeltext die ersttestamentliche Vorstellung der Begriffe ‚rein/unrein‘ inklusive die Praxis dahinter herausgelesen werden könne. Weil das vergleichende Vorgehen relativ einfach erscheint, besteht zudem die Gefahr, einseitig die levitischen Regeln ins Zentrum zu stellen und anderen Texten, die das Thema weniger systematisch behandeln und beispielsweise mit metaphorischen Elementen arbeiten, eher hilflos gegenüber zu stehen.
Aus dem Gesagten lässt sich schliessen, dass es sich bei gewissen Texten, vor allem bei Gesetzestexten, durchaus lohnt, sie in der Art eines Summendifferenzspiels nach geschlechterspezifischen Aussagen aufzuschlüsseln. Unabdingbar bleiben jedoch erstens explizite Überlegungen zu den Kriterien, die man dann bei der geschlechterpolitischen Beurteilung anzuwenden gedenkt, und zweitens das Bewusstsein, es hier mit sehr spezifischen Aussagen zum Thema zu tun zu haben, die vorerst einmal als Aussagen, die an eine örtlich und zeitlich in die Geschichte eingebundene Option gebunden sind, betrachtet und gewichtet werden müssen.
b) Einem zweiten Modell folgt, wer eine geschlechterpolitische Beurteilung primär entlang der Frage nach Handlungsräumen von Frauen vornimmt. Dieses Vorgehen bezweckt weniger einen auflistenden Vergleich zwischen den konkreten Konsequenzen für Männer und Frauen, die sich aus Texten zur Un-/Reinheitsthematik ergeben, sondern richtet den Blick vorwiegend auf die frauenspezifischen Implikationen. Als geschlechterpolitisch ungerecht wird mit den Worten von Phyllis Bird, einer der Autorinnen, die mit diesem Beurteilungstypus arbeitet, bezeichnet, was „restrict the sphere of women’s activity – spatially, temporally, and functionally“ [94] . Es geht nach Bird jedoch nicht einfach um alle Einschränkungen, denn von gewissen Einschränkungen, z. B. bezüglich des priesterlichen Dienstes, seien ja auch klar Männer betroffen gewesen. Primäres Kriterium für geschlechterpolitisch problematische Einschränkungen sei, dass ihnen Frauen nicht individuell, sondern als Klasse unterworfen seien. Solche Einschränkungen macht sie primär an drei Orten aus, erstens bei der gesetzlichen Unterordnung von Frauen unter die Autorität männlicher Familienangehöriger, die in eine gesamtgesellschaftliche Geschlechterhierarchie eingebunden sei, zweitens bei der Vorstellung, dass Frauen primär die Rolle der Ehefrau und Mutter erfüllen müssten, und drittens bei den Reinheitsregelungen während der reproduktiven Lebensphase von Frauen. Die Reinheitsregelungen werden also als ein Faktor unter mehreren betrachtet, von denen die Stellung der Frauen abhängt. In ähnlichem Stil argumentiert z. B. auch Silvia Schroer. Das priesterliche Weltbild mit seinen Vorstellungen von rein und unrein, heilig und profan taxiert sie als „extrem frauenfeindlich, da Frauen durch ihre monatliche Unreinheit oder Geburten (Lev 12; 15,19-33) wochen- und monatelang kultunfähig werden“ [95] . Zudem kann sie sich einen Zusammenhang zwischen Reinheitsvorstellungen und der Unterdrückung religiöser Frauenpraxis im Bereich von Mantik, Orakelerteilung und Wahrsagerei vorstellen, denn „eine Person, die im Kontakt ist mit der Totenwelt oder anderen Sphären von Wirklichkeit, wird im Rein-Unrein-Denken zu einer zweideutigen Person, die Macht hat, aber auch gefährlich ist“ [96] . Judith Romney Wegner blickt nicht nur auf die konkrete Praxis und Partizipation bzw. Ausgrenzung von Frauen, sondern ortet bezüglich der Reinheitsregeln eine problematische Einschränkung bereits auf der Ebene der Frage, wer für wen die Verantwortung für Reinheit trägt. Weil P androzentrisch ausgerichtet sei, bestehe die Rolle der Frauen „in protecting the holiness and purity of individual males with whom they have sexual contact, and thus of the community as a whole“ [97] . Auf eine solche Art zweckbestimmt zu sein, kann natürlich ebenfalls Einschränkungen der Handlungsfreiheit zur Folge haben, wobei diese aber weniger durch gesetzliche als durch soziale Sanktionen funktionieren dürften.
Geht es um eine Beurteilung dieses Modells, können einerseits ähnliche Vorbehalte wie beim Beurteilungstypus zuvor geäussert werden: Auch hier ist das Verhältnis von Text zu Realität(en) nicht unbedingt geklärt, und auch hier lässt sich fragen, wie genau mit nichtgesetzlichen Texten umgegangen werden kann, bei denen nicht direkt Handlungsanweisungen thematisiert werden, aus denen heraus Handlungsräume bestimmt werden können. Andererseits bietet dieser Typ gegenüber dem vorhergehenden den Vorteil, tatsächlich ein konkretes Kriterium zu bieten. Dass der Handlungsspielraum im Zentrum steht, ist zudem besonders interessant, weil damit die Frage, ob das Rein-Unrein-Denken nur eine kultische oder auch eine moralische Kategorie darstellt, gar keine Rolle spielt. Es wird klar, dass ganz allgemein betrachtet auch so genannte rein kultisch-rituelle Regeln Frauen als Klasse einschränken können, wodurch eine geschlechterpolitische Untersuchung der Reinheitsregeln nicht schon im Voraus als obsolet unter den Tisch gewischt werden kann [98] . Problematisch kann dieser Beurteilungstypus m. E. dann werden, wenn der oben thematisierte Vergleich mit den Regeln für Männer gänzlich aus dem Blickfeld verschwindet, denn gewisse Punkte können damit vielleicht tatsächlich relativiert werden. Wegners These, dass Frauen bei P instrumentalisierend für die Reinheit der Männer verantwortlich gemacht werden, lässt zudem die Frage aufkommen, wie exegetisch mit wenig fassbaren gesellschaftlichen Aspekten umzugehen ist. Solche Aspekte gänzlich zu ignorieren, wäre sicher falsch. Doch welche Instrumente besitzen wir heute, in diesem Bereich eine geschlechterpolitische Auswertung vorzunehmen?
c) Ebenfalls mit der Frage nach der Fassbarkeit muss sich auseinandersetzen, wer dem dritten Beurteilungmodell folgt und Symbolismen als geschlechterpolitische Faktoren zur Untersuchung von Un-/Reinheitsvorstellungen ins Zentrum rückt. Haben wir eben die Position von Bird kennengelernt, nach der die Reinheitsregeln einen Faktor unter mehreren darstellen, welche die Stellung der Frauen determinieren, so beschäftigen sich VertreterInnen des hier skizzierten Typs sozusagen mit der Kehrseite dieses Aspektes: Auf dem Hintergrund der Annahme, dass Vorstellungen und Regeln nicht nur die gesellschaftlichen Realitäten beeinflussen, sondern auch ihrerseits durch sie beeinflusst werden, wird das Rein-Unrein-Denken als Knotenpunkt betrachtet, bei dem verschiedene gesellschaftliche Symbolismen zusammenlaufen. Geschlechterpolitisch könnte dies auf den ersten Blick entlastend wirken, denn falls damit Geschlechterhierarchien zementiert würden, würde dies nur einen Aspekt dieses Denkens darstellen. Howard Eilberg-Schwartz [99] , der diesen Ansatz verfolgt, macht jedoch darauf aufmerksam, dass gewisse Vorstellungen und daraus resultierende Regeln als Palimpsest von Symbolismen insofern problematische Auswirkungen haben können, als sich die Symbolismen miteinander zu verknüpfen beginnen: So würden aus den Gegensätzen Mann/Frau, Leben/Tod und Kontrolle/fehlende Kontrolle, die nach Eilberg-Schwartz wesentlich mit dem Rein-Unrein-Denken zusammenhängen, die einander entgegengesetzten Gleichungen ‚Mann gleich Leben gleich Kontrolle‘ und ‚Frau gleich Tod gleich fehlende Kontrolle‘ resultieren und gerade für Frauen nachteilige gesellschaftliche Konsequenzen implizieren.
Offenkundig wird bei diesem Modell versucht, im biblischen Kontext mit einem ausdrücklich kulturanthropologischen Ansatz zu arbeiten und daraus geschlechterpolitische Folgerungen zu ziehen. Positiv macht dieser Ansatz deutlich, dass Vorstellungen wie rein und unrein mehrdimensionale Vorstellungskomplexe sein können. Unter diesen Umständen erweist sich eine geschlechterpolitische Auswertung durch ein simples Aufrechnen von Regeln definitiv als unzulänglich. Lobend kann weiter ins Feld geführt werden, dass eine gewisse interdisziplinäre Arbeit gewagt wird und Ergebnisse anderer Wissenschaften berücksichtigt werden [100] . Fraglich bleibt aber eben, wie ein gesellschaftliches Vorstellungs- und Wertsystem überhaupt erfasst werden kann – oder müssen obige Aussagen von Eilberg-Schwartz eine Art Glaubensaussage bleiben? Thomas Overholt, der sich mit der Frage nach der Anwendung kulturanthropologischer Ansätze in den Bibelwissenschaften beschäftigt, betont, dass es im Zusammenhang mit diesen Ansätzen nötig sei, von einer nichtpositivistischen Epistemologie auszugehen, „which holds that anthropological description does not so much mirror social reality as provide one of several possible maps that can guide us in our attempts to understand society“ [101] . Overholt selbst führt in diesem Zusammenhang an, dass anthropologische Ansätze in erster Linie als Hilfsmittel dienten, die immer auch in Kombination mit anderen Werkzeugen benutzt werden müssten. Doch was dies konkret bedeutet, wenn es um geschlechterpolitische Auswertungen einer Vorstellung gehen soll, bleibt immer noch offen. Zudem bleiben auch mit dieser Art und Weise, genderspezifische Untersuchungen anzustellen, letztlich die exakten Kriterien von Geschlechter(un)gerechtigkeit unbenannt. Obwohl Overholt die Notwendigkeit unterstreicht, „to take into account both agency (that is, individual human action) and social structure“ [102] , sehe ich bei einer allzustark auf anthropologische Aspekte ausgerichteten Arbeitsweise schliesslich ein Stück weit die Gefahr aufkommen, dass durch relativ allgemeine Aussagen zur Vorstellungswelt einer zwar kulturell und zeitlich eingegrenzten Gesellschaft Ambiguitäten auf der Ebene von Meinungen und politischen Ausrichtungen übergangen werden. Auch wenn wir einer antiken Gesellschaften natürlich nicht den heutigen Individualismus überstülpen können, muss m. E. gerade bei geschlechterpolitischen Überlegungen darauf geachtet werden, beide Seiten des Spannungsfeldes zwischen gesellschaftlicher Determiniertheit und persönlich-individuellem Handlungsraum gleichermassen ernst zu nehmen.
d) Stärker als alle bisherigen Modelle nimmt diesen persönlich-individuellen Handlungsraum das vierte Modell in den Blick. Die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit wird hier als Frage nach diskursiver Definitionsmacht gestellt. Im Rahmen der überblickten Literatur arbeitet Charlotte E. Fonrobert [103] am eingehendsten in dieser Art – allerdings konzentriert sie sich dabei auf die Menstruationsregeln und in erster Linie auf rabbinische und einige frühchristliche Texte. Es sind die diskursiven Effekte, denen sie eine geschlechterpolitische Relevanz zuschreibt und die sie genau unter die Lupe nimmt. Geschlechterpolitisch positiv wertet sie diejenigen Diskurse, die Frauen Definitionsmacht zugestehen und insofern „women’s desires for autonomy“ [104] ernst nehmen, negativ diejenigen, die dies nicht oder nur vordergründig tun [105] und Frauen insofern instrumentalisieren. Da Fonroberts Arbeitsweise m. E. gerade gegenüber der Arbeitsweise von Metternich und Batmartha einige bedenkenswerte Anstösse zu geben vermag, soll sie in der Folge etwas genauer beleuchtet werden.
Un-/Reinheitsregelungen als Knotenpunkt unterschiedlicher Diskurslinien
Fonroberts Arbeit kann innerhalb der jüdisch-feministischen Debatte um Un-/Reinheit angesiedelt werden, wie sie oben kurz in den Blick kam. Indem sie herausstreicht, dass es bei den Menstruationsregelungen nicht einfach um einen Streit um die Praxis, um ein Dafür oder Dagegen gehen kann [106] , positioniert sie sich allerdings jenseits der zwei Extremlager, dem apologetischen, das die Regelungen verteidigt, und dem polemischen, das sie strikt ablehnt. Fonrobert tritt dafür ein, erst einmal den Diskursen über Menstruation nachzugehen: „Who is speaking for whom? Who is allowed to speak? Who is producing meanings? What are the effects of creating certain meanings for gender relations?“ [107] Der Menstruationsdiskurs dient ihr also dazu, die rabbinische/frühchristliche (literarische) Konstruktion von Geschlecht und deren kulturelle Funktionen bzw. diskursive Effekte zu untersuchen. Heutige Herausforderungen wie „the trap of essentializing female bodies, female embodiedness, and women“ und „the effacement of the female body in Western intellectual tradition“ [108] vor Augen, geht es ihr dabei nicht nur um historisches Arbeiten, sondern wesentlich auch um ein „thinking through issues vital to feminist critical theory of difference/s today“ [109] . Auf dieser Basis untersucht Fonrobert mehrere Aspekte der Texte, die um die Menstruationsthematik kreisen. Sie fragt sich z. B., mit welchen Metaphern über Frauenkörper gesprochen wird, und kontrastiert bzw. vergleicht die rabbinische Rede mit derjenigen der griechisch-römischen Gynäkologie-Literatur, die sie als kulturelle Matrix der Texte beizieht [110] . Den rabbinischen Diskurs sieht sie durch Raummetaphern beherrscht, die den weiblichen Körper als „the embodiment of interiority“ dem männlichen Körper als „embodiment of exteriority“ [111] entgegensetzen und im Rahmen einer androzentrischen Sichtweise einseitige Wertungen implizieren [112] . Dadurch, dass sie einzelne Diskurse sehr genau auf Autoritätsstrukturen und diskursive Effekte hin untersucht, werden trotz dominierender Tendenzen verschiedene Diskurstypen kenntlich. Selbst einen „counterdiscourse“ macht Fonrobert aus, einen „discourse within the framework of the larger, dominant one which conceptually contradicts it“ [113] . Wegen der Gefahr, dominierende Konstrukte zu unterlaufen, sei dieser aber oft wieder „taming or domesticating strategies“ [114] ausgesetzt, Strategien, die diese Kraft einzudämmen versuchten [115] . In ähnlicher Weise wie die Körpermetaphern untersucht Fonrobert die rabbinische „science of women’s blood“ [116] , fragt sich, inwiefern das diskursive Universum der Rabbinen auf körperlich-medizinischer Ebene „women’s spaces“ [117] ermöglicht, und untersucht schliesslich noch aus komparativem Interesse heraus frühchristliche Texte, die die Menstruation thematisieren, speziell die syrische Didaskalia [118] .
Vorteilhaft an dieser Beurteilungsmethode ist, dass sie z. B. im Gegensatz zur Vorgehensweise, nur nach Handlungsräumen zu fragen, feinere Urteile fällen kann: Auch die Begründungen, die hinter Zugeständnissen von Handlungsräumen stehen, werden beurteilt, weil sich – selbst wenn das Zugeständnis geschlechterpolitisch unproblematisch erscheint – auch dort problematische Diskurse manifestieren können [119] . Durch das Kriterium der diskursiven Definitionsmacht können Texte darüber hinaus kaum mehr einfach als gut oder schlecht abgeurteilt werden, sondern es eröffnet sich ein ganzes Spektrum an Diskursen, möglicherweise ein ganzer Dialog von Diskursen und Gegendiskursen, für die sich eher eine Skala im Sinne von ‚problematischer/unproblematischer‘ nahelegt. Der Versuch, Texten in diesem Sinn jenseits einer Schwarzweissmalerei gerecht zu werden, eröffnet schliesslich die Möglichkeit, aus dem gerade bei Metternich und Batmartha zu beobachtenden Entweder-Oder-Schema, Texte bezüglich ihrer geschlechterpolitischen Ausrichtung nur noch gänzlich abzulehnen oder bis aufs Äusserste zu verteidigen, auszubrechen und unterschiedlichste Texte trotz kritischer Distanz wertschätzen zu können. Weiter vermag schon allein die Fokussierung auf den Diskurs mehrere Vorteile zu bieten: Indem z. B. der Begriff ‚Diskurs‘ primär einmal auf die Ebene von Gedankenwelten verweist, gewährleistet diese Fokussierung den erforderlichen Vorbehalt gegenüber einer direkten Gleichsetzung von Text und dahinterstehenden Realitäten, wodurch wie die Texte selbst nun auch die Gesellschaften, denen sie zugeordnet werden, geschlechterpolitisch nicht mehr so schnell anhand einzelner geschlechterpolitischer Aussagen etikettiert werden können. Darüber hinaus wird es durch die eher vorsichtige Erschliessung von sozialgeschichtlichen Realitäten und Aspekten der Denkwelt anhand von Diskursen unabdingbar, viel Wert auf Fragen nach geographischem und gesellschaftlichem Ort sowie der historischen Einordnung von Einzeldiskursen zu legen [120] . Dass Fonrobert nicht bei der Forderung stehen bleibt, Mechanismen zu überwinden, die Frauen ausgrenzend und objektivierend als ‚die anderen‘ festschreiben, kann schliesslich als interessante Perspektive in Hinblick auf aktuelle feministische Debatten gewertet werden. Fonrobert ruft nämlich dazu auf, den Blick in einem zweiten Schritt ausdrücklich auf ‚die anderen‘ zu richten – auf diejenigen ‚anderen‘, die insofern ‚anders‘ sind, als sie sich jenseits der androzentrischen Vorstellung konstituieren und „preserve the notion of an ontological heterogeneity“ [121] . Weil diese Erweiterung dem Vorurteil, von feministischer Seite her würde Geschlechtergerechtigkeit eine Angleichung der Frauen an Männer bedeuten, definitiv nicht mehr Hand bietet, sondern die Möglichkeit vielfältiger Lebensformen für Frauen wie Männer ins Zentrum stellt, erachte ich sie als besonders wichtig. Interessant ist weiter der Aspekt, dass Fonrobert sogar ihre Arbeitsweise selbst als geschlechterpolitisch relevant einschätzt. Sie ordnet ihre Lesart derjenigen feministisch-kritischen Methoden zu, die „the cultural, textual, or rhetorical constructedness of gender“ [122] erhellen, wodurch sich dem Leser/der Leserin Möglichkeiten alternativer Lesarten und alternativer kultureller Setzungen (cultural choices) eröffnen könnten. Solche Methoden seien „highly self-conscious or self-critical; they focus on the process of ‚reading‘ as an act of re-inscribing the text, re-appropriating or even re-writing it“ [123] , fügt sie an. In dieser Art, den eigenen Arbeitsprozess zu reflektieren und offenzulegen, dass und wie sie historische Arbeit mit Bewusstseinsarbeit verknüpft, steht Fonrobert im ganzen Kreis von Arbeiten zur Un-/Reinheits- bzw. Menstruationsthematik ziemlich einsam da.
Einiges, was eben als Vorteil gepriesen wurde, kann jedoch gerade auch unter umgekehrten Vorzeichen gelesen werden. Da Ergebnisse, weil sie an einzelne Diskurse gebunden sind, notgedrungen fragmentarisch und, weil auf unterschiedliche Diskurse geachtet wird, bisweilen ambivalent ausfallen, können zum einen kaum mehr die leicht greifbaren Entwicklungslinien entworfen werden, nach denen in Bezug auf eine geschlechterpolitsiche Wertung – nicht nur populärwissenschaftlich – gerne gefragt wird. Zum anderen ist zwar nachvollziehbar, wie Fonrobert anhand rabbinischer und gewisser frühchristlicher Texte diskursive Definitionsmacht diskutiert. Obwohl Fonrobert versucht, bei ihren Fragestellungen stets beim biblischen Textmaterial zu beginnen, bleibt aber die Sichtung dieses Materials meist verhältnismässig kurz und schliesst die Arbeit, auch dort mögliche Unterschiede entlang der Diskurse zu untersuchen, nicht mit ein. So bleibt unklar, ob überhaupt und wie genau Fonroberts Arbeitsweise auf ersttestamentliche Texte übertragen werden kann.
Welche Zugangsweise zur geschlechterpolitischen Dimension der ersttestamentlichen Un-/Reinheitsthematik?
Zu Beginn dieses Aufsatzes wurde die These geäussert, dass die Frage nach konkreten Beurteilungskriterien, aber auch die Frage, worauf die eigene Untersuchung überhaupt abzielt, für ein Ausloten der geschlechterpolitischen Dimension der Un-/Reinheitsthematik zentral sei, um weitreichende Unschärfen zu vermeiden. Anhand obiger Typologisierung von Kriterien glaube ich gezeigt zu haben, dass jede Zugangsweise Stärken und Schwächen besitzt. Dies lässt denn auch klar den Schluss zu, dass, je besser der eigene Ansatz reflektiert wird, desto besser auf Mängel eingegangen werden kann. Durch das bisher Gesagte wurde m. E. aber auch deutlich, wie wichtig Reflexionen hinsichtlich des Ziels sind, das man anpeilt. Anhand von Metternichs und Batmarthas Arbeiten konnte diesbezüglich auf die Gefahr hingewiesen werden, es nicht bloss dabei zu belassen, Fehler zu korrigieren, sondern sich in eine Extremposition hineinzumanövrieren, die im konkreten Fall zwar antijüdische Muster ausräumt, damit aber andere Ungenauigkeiten in Kauf nimmt und letztlich keine Perspektive zu entwerfen vermag, wie differenzierte feministische Kritik im Zusammenhang mit der Un-/Reinheitsthematik aussehen könnte – zumindest nach der Position von Batmartha scheint gar jegliche feministische Kritik in diesem Bereich hinfällig zu werden. Mit der Zielfrage hängt schliesslich zusammen, ob man es überhaupt für erstrebenswert hält, für den konkreten Fall der Un-/Reinheitsthematik, aber vielleicht darüber hinaus auch für andere Aspekte der ersttestamentlichen Vorstellungswelt ein allgemeines geschlechterpolitisches Urteil fällen zu können. Zum einen kann angeführt werden, dass ein eindeutiges Gesamturteil sowieso kaum möglich ist. Die Schwierigkeit beginnt dabei bereits beim ersten Schritt, wenn es also darum geht, die zu untersuchenden Texte zu verstehen. Der kurze Blick auf die Forschungslage sollte verdeutlicht haben, dass es alles andere als einfach ist, nur schon auf der Verständnisebene zu einigermassen tragfähig Aussagen zu gelangen. Eine weitere Crux dürfte darstellen, dass sich ein Gesamturteil zur Un-/Reinheitsthematik weder nur auf einen gewissen ausgewählten Bereich zu beziehen noch allein auf Gesetzestexte zu beschränkten hätte. Neben der Körperausflussthematik tangiert die Vorstellung von rein und unrein noch viele andere Bereiche [124] , und neben den gesetzlichen Texten müsste auch den narrativen Texten und insbesondere den prophetischen Texten zum Thema Beachtung geschenkt werden [125] . Zum anderen kann man sich mit Blick auf die obige Diskussion fragen, was ein Gesamturteil überhaupt bringt. Mündet ein solches nicht unweigerlich in zu pauschale Aussagen?
Der erste Arbeitsschritt, also der Versuch, dem Verständnis von Textquellen auf die Spur zu kommen, muss keinesfalls in einem Gesamturteil über diesen Text enden, meine ich, womit ich zu einigen Überlegungen übergehen möchte, wie eine alternative Zugangsweise aus meiner Sicht aussehen könnte. Als gewinnbringender erachte ich es demgegenüber, das Gewicht vermehrt auf den Arbeitsschritt zu legen, bei einem Text in sorgfältigster Art und Weise ein grösstmögliches Mass an geschlechterpolitischen Konsequenzen zu bedenken, und zwar im Positiven wie im Negativen. Damit rückt meine Position offenkundig in die Nähe von Fonroberts Ansatz. Wichtige Vorteile ihrer Position wurden oben bereits genannt. Für eine feministische Weiterarbeit im Bereich von Aspekten der ersttestamentlichen Vorstellungswelt, die kaum über mehr als gewisse Textquellen fassbar sind, sind in meinen Augen des Weiteren folgende vier Punkte zentral:
1. Mir erscheint eine Zugangsweise als unabdingbar, die es grundsätzlich einer jeden Gesellschaft zumutet, auf geschlechterpolitischer Ebene von unterschiedlichsten Stimmen durchzogen zu sein. Geht es konkret um die israelitische Gesellschaft, ist es weder angemessen, von vornherein die patriarchale Prägung auszublenden, noch darf umgekehrt die Existenz von Räumen für nicht-patriarchale Gegenstimmen und -praktiken ausgeschlossen werden.
2. Was die konkreten geschlechterpolitischen Beurteilungskriterien betrifft, ist ein Instrumentarium zu finden, das dem Faktor Geschlechterungerechtigkeit als subtilem und komplexem Mechanismusgefüge möglichst gerecht wird. Die oben dargelegte Untersuchung einzelner Beurteilungslinien auf Stärken und Schwächen hin machte m. E. deutlich, dass diesem Anliegen am besten eine Kombination einzelner solcher Linien dient: Positive Seiten können genutzt, negative gegenseitig auskorrigiert werden. Da sie verschiedene Kriterien mitbedenken, sehe ich es hingegen auch gerechtfertigt, den Fokus vor allem auf diejenigen Fragen zu richten, die Fonrobert ins Zentrum stellt, Fragen also nach dem Ort von Definitionsmacht, nach dem Gewähren von Subjektstatus und nach hierarchischen Strukturen innerhalb des Diskurses, der untersucht wird.
3. Keine feministische Arbeit kommt m. E. mehr umhin, den Aspekt der Konstruiertheit gesellschaftlicher Kategorien und somit auch der Kategorie ‚Geschlecht‘ im Sinn von ‚gender‘ zu beachten. Was den spezifischen Bereich der Kategorien rein und unrein angeht, liess spätestens die jüdisch-feministische und die christlich-feministische Debatte zutage treten, dass das Rein-Unrein-Denken bei der Konstruktion von religiöser Identität, insbesondere aber auch von Geschlechtsidentität eine wichtige Rolle spielen kann. Auch auf der Ebene der biblischen Texte ist es daher wichtig, die Frage, welche Rolle eine bestimmte gesellschaftliche Kategorie für die Konstruktion von Geschlecht spielt, stets mitzudenken. Weil damit sozusagen der Naturalisierungsprozess kultureller Setzungen bzw. im konkreten Fall also die Biologisierung des soziokulturellen Geschlechts wahrgenommen werden, lässt sich auf diese Weise auch dieser Mechanismus geschlechterpolitisch untersuchen.
4. Schliesslich möchte ich eine Lanze für eine im Grunde sehr banale Strategie brechen, die als kritisches Korrektiv dienen kann, in vielen der gesichteten Arbeiten jedoch kaum angewendet wird: Es ist das beharrliche Gegenfragen, das sich an die eigenen Thesen richtet und die herausgearbeiteten Vor- und Nachteile für Frauen hinterfragt. Gerade in einem Bereich wie der Un-/Reinheitsthematik, wo das Eingebundensein in gewisse Diskurse und Diskussionszusammenhänge die Untersuchungsergebnisse unterschwellig mitprägen kann, erachte ich ein solches Gegenfragen als vordringlich. Als kleines Beispiel mag die These dienen, dass die Menstruationsregeln das Selbstbestimmungsrecht von Frauen bezüglich ihrer Sexualität einschränke. Hier kann ein Gegenfragen zur oben bereits erwähnten Einsicht führen, dass die Regeln einen positiven Schutzaspekt beinhalten können. Als kritisches Moment kann demgegenüber dann aber wieder ins Feld geführt werden, dass ein solcher Schutzaspekt die Sichtweise impliziert, dass Frauen innerhalb der Ehe keinen selbstverständlichen Anspruch darauf haben, dass ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse ernstgenommen werden [126] .
In kleinem Rahmen sind bereits Ansätze in der Literatur zu finden, einen Weg einzuschlagen, der in die eben beschriebene Richtung geht [127] . Versprechen diese Ansätze in vielerlei Hinsicht einen Gewinn, müssen jedoch auch sie immer wieder auf problematische Punkte hin befragt werden. Sobald Methoden Elemente postmoderner Theorieansätze enthalten, ziehen sie etwa den Verdacht auf sich, mehr zu dekonstruieren als zu konstruieren. Auch hier also wird die Frage nach dem Ziel der entsprechenden Untersuchung zentral bleiben. Auf exegetischer Ebene sehe ich eine gewisse Spannung, was das Miteinander von synchronem und diachronem Arbeiten angeht. Letzteres scheint mir tendenziell zu kurz zu kommen. Weil schon fast der Weg zum Ziel wissenschaftlichen Arbeitens wird, erachte ich es zudem als schwierig, dass kaum mehr sehr aussagekräftige Gesamtthesen möglich sind. Nimmt man die Tatsache dazu, dass sich ein gewisses Mass an Fragmentiertheit als charakteristisch für besagte Arbeitsweise entpuppt, rüttelt diese ziemlich an herkömmlichen Vorstellungen von wissenschaftlichem Arbeiten und muss sich also auch auf wissenschaftstheoretischer Ebene gut wappnen können.
Auch die Skizzen in diesem letzten Kapitel sind fragmentarisch geblieben. Der feministischen Exegese wird es eine bleibende Aufgabe sein, Stück für Stück an einem Instrumentarium zu arbeiten, das in der Tat sehr vieles unter einen Hut zu bringen hat: Das Ernstnehmen von Körperlichkeit, aber auch der Konstruiertheit gesellschaftlicher Kategorien, das Gerechtwerden postkolonialistischer Kritik wie natürlich das Bewahren einer klaren befreiungstheologischen Ausrichtung. Auf alle Fälle können wir gespannt sein, inwiefern der Artikel zu Reinheit und Unreinheit in der nächsten Auflage des Wörterbuchs der Feministischen Theologie von dieser Weiterarbeit zeugen wird.
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[1] Mit der Thematik dieses Aufsatzes habe ich mich im Rahmen meiner Lizentiatsarbeit ‚Geschlecht und Un-/Reinheit. Zur feministischen Diskussion um die geschlechterpolitischen Implikationen des ersttestamentlichen Rein-Unrein-Denkens‘ auseinandergesetzt, die unter der Leitung von PD Dr. Christoph Uehlinger entstanden und im Mai 2003 an der Theologischen Fakultät Feiburg/Schweiz eingereicht worden ist. Die hier präsentierten Überlegungen beruhen v. a. auf Abschnitten des ersten hermeneutisch-methodologischen Teils der Lizentiatsarbeit, dem ein zweiter, exegetischer Teil folgt.
[2] Fander (1991). Die Autorin hat sich mit der Un-/Reinheitsthematik v. a. im Zusammenhang mit ihrer Dissertation zur Frage der Stellung der Frau im Markusevangelium (dies. [1990]) beschäftigt, und zwar ausgehend von der Heilungsgeschichte der Frau mit Blutfluss (Mk 5,25-34). Ihr Interesse richtet sich in der Folge hauptsächlich auf die Frage nach der urchristlichen Einstellung gegenüber dem ‚Menstruationstabu‘. Die Un-/Reinheitsregelungen diskutiert sie sodann vor allem auf diesen Begriff reduziert.
Ein sehr ähnlicher Inhalt findet sich auch im Artikel des ‚Dictionary of Feminist Theologies‘ (Kinukawa [1996]). Von ihren Publikationen her geschlossen hat sich die Auseinandersetzung Kinukawas mit der Un-/Reinheitsthematik wie bei Fander aus der Untersuchung des Markusevangeliums heraus und dort in erster Linie von Mk 5,25-34 her ergeben, vgl. dies. (1994) und (1995). Kinukawas Ansatz ist insofern beachtenswert, als sie ausdrücklich kontextuell arbeitet, den Text von Mk 5,25-34 in einen Dialog mit der japanischen Gesellschaftsstruktur bringt und gesellschaftspolitisch relevant werden lässt.
[3] Fander (1991) 350.
[4] Metternich/Keller/Feld (2002).
[5] Auch bei ihr liegt der Auseinandersetzung mit der Un-/Reinheitsthematik in erster Linie Mk 5,25-34 parr zugrunde, vgl. ihre Monographie Metternich (2000).
[6] Das ersttestamentliche Un-/Reinheitsvokabular beschränkt sich nicht nur auf diese Wurzeln, sondern kennt noch andere Ausdrücke, die bisweilen synonym benutzt werden. Zum Spektrum an Vokabeln vgl. z. B. Wright (1992). Die Wurzeln t[hr und t@m) treten allerdings weitaus am häufigsten auf.
[7] Ebd. 471.
[8] Ebd.
[9] Ebd. 472. Hervorhebung V. B.
[10] Auf den Zusammenhang des katholischen Aussegnungs-Rituals mit Un-/Reinheitsvorstellungen verweisen z. B. auch Staubli (1996) 110-114 und Korte (2000) 313ff. Zur lehramtlichen Tendenz, diesen Zusammenhang in liturgischen Begründungen unsichtbar zu machen, s. Kohlschein (1990).
[11] Vgl. Büchler (1928).
[12] Vgl. Neusner (1973).
[13] Vgl. Frymer-Kensky (1983).
[14] Vgl. Wright (1991) und (1992).
[15] Vgl. Kugler (1997).
[16] So Klawans (2000). Vgl. im übrigen ebd. 3-20, wo sich einige der eben genannten Systematisierungsvorschläge kritisch gesichtet und zueinander in ein Verhältnis gesetzt finden.
[17] S. etwa die Monographie Houston (1993) oder die Aufsätze Janowski/Neumann-Gorsolke (1993), Ego (1997), Douglas (2000), Staubli (2001).
[18] Eine Frage, die immer wieder aufgegriffen wird, ist beispielsweise diejenige nach dem Grund der unterschiedlichen Karenzzeiten nach der Geburt eines Knaben oder eines Mädchens (Lev 12,2-6). Verschiedene Thesen dazu finden sich z. B. bei Sprinkle (2000) 644 aufgelistet.
[19] Zu ‚heilig/Heiligkeit‘ vgl. etwa die Monographie Jenson (1992), insbes. 40-88, oder den Sammelband Poorthuis/Schwartz (2000). Zu Sühne und Opfer vgl. z. B. Janowski (2000), Schenker (1990), (1994), (1999), aber auch Milgrom, etwa in seinem Levitikus-Kommentar, ders. (1991).
[20] Meistens werden die Fragen kombiniert behandelt. Frühe Arbeiten, die einen Bogen von den biblischen zu jüngeren Schriften spannen, stellen Paschen (1970) (Abriss Erstes Testament/Q-Schriften/Mk 7,14-23) und Neusner (1973) (Abriss Erstes Testament/verschiedene Pseudepigrapha/Rabbinische Texte) dar. Einen solchen Bogen spannt dann wieder Klawans (2000) (Abriss Erstes Testament/unterschiedlichste Pseudepigrapha/Philo/tannaitische Literatur/Neues Testament). Vgl. darüber hinaus Sanders (1990), Cohen (1991), Harrington (1993) (zu Qumran und rabbinischen Texten), Japhet (1993) (Tempelrolle), Maccoby (1999), Himmelfarb (1999), Fonrobert (2000) (zu rabbinischen und frühchristlichen Texten) und die Aufsätze Schwartz (2000), Regev (2000) und Werman (2000).
[21] S. etwa Alon (1977), Douglas (1994), Maccoby (1996), Hayes (1999), Klawans (1995), Janzen (2002).
[22] Buckser (1996) 1046.
[23] Beispiele zitiert nach Buckser (1996) 1047.
[24] Skizziert ebd. 1048.
[25] Ebd.
[26] Seidl (2001) 318.
[27] Douglas (1966). Douglas selbst hat ihre Position von 1966 im Laufe der folgenden Jahre zwar in einigen Punkten modifiziert. Da aber dennoch im Wesentlichen ‚Purity and Danger‘ rezipiert wird, gehe ich hier nicht näher auf diese Modifikationen ein (s. dazu z. B. Klawans [2000] 9f.). Die 90er Jahre stellen bei Douglas den Beginn einer neuen Phase der Auseinandersetzung mit dem Rein-Unrein-Denken dar, speziell bezüglich des biblischen Textmaterials, vgl. z. B. Douglas (1998) 7; forschungsgeschichtlich schildert z. B. Klawans [2000] 7-10, 18-19 diesen Wandel. Für Argumente, mit denen sie ihre Abkehr von früheren Thesen begründet, vgl. Douglas (1998) 6f., (1999) vi-viii, (2000) 33f.
[28] Douglas (1966) 3f.
[29] Ebd. 35. Douglas nennt dies die ‚alte‘ Definition von Schmutz, diejenige, die i. E. vor den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. Jh. vorherrschte, als Schmutz noch nicht mit pathogenen Organismen in Verbindung gebracht wurde.
[30] Ebd.
[31] Ebd. 104.
[32] Dazu z. B. ebd. 122.
[33] Ebd. 129-139.
[34] Adler (1976) 70.
[35] Ebd. 71.
[36] Adler (1993).
[37] Ebd. 40. Diese symbolische Geschlechterpolarisierung sieht sie bereits im biblischen Symbolismus angelegt, der – hier bezieht sie sich auf die Arbeit von Eilberg-Schwartz (1990) – „associates masculinity with fertility and control and feminity with death and disorder“ (Adler [1993] 40). Das rabbinische und post-rabbinische Judentum hätten diese Tendenz dann intensiviert.
[38] Ebd. 41. Damit trifft m. E. die Ansicht Metternichs nicht zu, die schliesst, dass Adler dafür plädiere, „die Reinheitsgesetze ersatzlos zu streichen“ (Metternich [2000] 132).
[39] Zur heutigen Identitätsdiskussion unter jüdischen Männern, die vor allem am Beschneidungsritual festgemacht wird, s. z. B. Hoffman (1996).
[40] Dies, obwohl die niddah-Regeln im strengen Sinn nicht die einzigen Reinheitsregelungen sind, die über die klassisch-jüdische Periode hinaus weitergeführt worden sind. Nach Goldenberg (1997) 486 ist auch an gewisse Speisegebote oder an die Regel, dass Männer priesterlicher Abstammung nicht mit Totenunreinheit in Berührung kommen sollten, zu denken.
Wenngleich verschiedene Thesen existieren, sind die Mechanismen von Aufgabe, Weiterführung oder Modifizierung einzelner Reinheitsregelungen im Übergang von israelitisch-frühjüdischer in die klassisch-jüdische Periode hinein wenig geklärt. Bei den Menstruationsvorschriften wird die Fortführung am Gängigsten damit erklärt, dass das Thema Menstruation im Buch Levitikus zweifach thematisiert werde, einerseits im Kontext der Reinheitsregelungen (Lev 15,19ff.), die eng an den Tempel und die Vorstellung seiner Heiligkeit geknüpft seien, andererseits im Rahmen der verbotenen Sexualbeziehungen, die es einem Mann ganz generell verbieten würden, mit einer menstruierenden Frau sexuell zu verkehren (Lev 18,19; 20,18). Da dieser zweite Strang, der nichts mit der Vorstellung von rein und unrein zu tun habe, vom Bruch der Tempelzerstörung nicht tangiert worden sei, hätten Regelungen zur Menstruation weiter Bestand gehabt. Mehrere Punkte bleiben mit dieser Begründung allein jedoch ungeklärt: Weshalb z. B. spielte das Vokabular ‚rein/unrein‘ bei den niddah-Regelungen weiterhin eine Rolle, wenn es ja nur um das Sexualleben eines Ehepaars ging? Oder weshalb blieb nach der Tempelzerstörung z. B. auch das Thema Samenerguss in rabbinischen Diskussionen präsent, wie es Cohen (1991) 283 aufzeigt? Bezüglich der ersten Frage hat Fonrobert herausgearbeitet, dass zumindest die rabbinische Literatur die zwei Bereiche nicht mehr trennt, sondern ausdrücklich vermischt (Fonrobert [2000] 20-39; ‚unrein sein‘ bekommt damit direkt die Bedeutung ‚sexuell unantastbar sein‘). Die zweite Frage tangiert die Diskussion um die genaue Bedeutung der Zerstörung des Tempels, die m. W. überhaupt noch ausführlicher geführt werden müsste.
Hauptman fügt neben obigem Grund für das Festhalten an den Menstruationsregeln an, dass ganz einfach eine „cross-cultural basis“ (dies. [1998] 150) dafür vorhanden gewesen sei, bietet aber kaum konkrete Angaben dazu. Eine weitere Erklärung für die Fortführung nun nicht nur der Menstruationsregelungen setzt bei der pharisäischen Bewegung und ihrer Bemühung an, die Reinheitsregelungen bereits zur Zeit des Tempels auf den Alltag auszuweiten (s. Goldenberg [1997] 484). Eingebunden in die Alltagswelt konnten sie demgemäss auch ohne Tempel wie gewohnt weitergeführt werden und gar zu identitätsstiftenden Bräuchen avancieren (vgl. Metternich [2000] 93). Immer noch ungeklärt aber bleibt damit, weshalb genau welche Regelungen fallengelassen oder eben fortgeführt bzw. modifiziert wurden. Aus Fonroberts Arbeit lässt sich zudem schliessen, dass z. B. die identiätsstiftende Funktion gewisser Bräuche gar nicht so klar ist, wie es vielleicht scheint: Neben Texte, die eine solche Funktion nahe legen (z. B. bMeilah 17a, zitiert in Fonrobert [2000] 39), stellt sie solche, die auf ein anderes Verständnis schliessen, so die Didaskalia (vgl. dazu ebd. 160-209), deren Autorenschaft vom Judentum zum Christentum konvertierte Frauen kritisiert, welche die Menstruationsregelungen weiter befolgen wollten und diese Regeln insofern nicht als exklusiv jüdisch verstanden haben konnten.
[41] Leider finden sich viel weniger Informationen über andere jüdische Gruppierungen, die ebenfalls noch eine starke Ausprägung von Reinheitsregeln kennen, wie z. B. das äthiopische Judentum. Einen Einblick in die äthiopisch-jüdische Kultur bietet z. B. Schwarz (1998).
Zu den niddah-Regeln, die erst in der klassisch-jüdischen Zeit klar bezeugt sind, gehört z. B. diejenige, nach dem Abklingen der Menstruation weitere sieben Tage – traditionell ‚weisse Tage‘ genannt – zu zählen, bevor eine Frau wieder den Status von Reinheit erlangen kann und mit ihrem Ehegatten sexuell verkehren darf. Gewöhnlich wird dafür auf b Nid 66a verwiesen: „R. Zera sagte: Die Israelitinnen haben sich eine Erschwerung auferlegt, dass sie, auch wenn sie nur einen Blutstropfen wie ein Senfkorn wahrnehmen, dieserhalb sieben Reinheitstage verweilen“ (zitiert nach Metternich [2000] 114; gegen diese Stelle als Zeugnis für den Umgang mit der Menstruationsblutung argumentiert allerdings Hauptman [1998] 156-160). Mit dieser Verlängerung wird im Grunde die biblische Regel für eine Frau, die ausserhalb ihrer Regel Blutungen hat, auf die Situation der Menstruierenden übertragen. Interessant wäre es, der Frage nachzugehen, was hinter der Aussage steht, dass sich die Frauen selber diese Praxis auferlegt haben. Zu Überlegungen über einen möglichen Einfluss des Zoroastrismus auf die Verlängerung s. Metternich (2000) 115f.
Ein anderes Beispiel ist der Reinigungsritus, der das Eintauchen in die miqweh, das Reinigungsbad, verlangt. Die genauere Entwicklung dieser Praxis, die in der Mischna entgegen Cohens Annahme (ders. [1991] 277) durchaus bezeugt ist (Stellenangaben bei Harrington [1993] 123), ist zwar im Detail unklar: Einerseits wird kontrovers diskutiert, ob Lev 15 nun bereits ein Wasserbad als Reinigungsritual für Menstruierende impliziere oder nicht (vgl. ebd. 123-139; die Autorin postuliert hier eine enge Anlehnung der rabbinischen Praxis an die Schrift und überträgt daher die Baderegel von rabbinischen Texten zurück auf Lev. Bei ihrer Argumentation geht sie m. E. aber bereits zu stark von der Prämisse aus, dass die Rabbis keine neuen Prinzipien eingeführt hätten. Dazu, dass das ‚Erben‘ von Texten im rabbinischen Kontext sehr wohl neue Interpretationsweisen implizieren kann, s. z. B. Fonrobert [2000] 37, 108). Andererseits ist unklar, in welcher Form und in welchen Bevölkerungskreisen Reinigungsbäder zur Zeit des Zweiten Tempels überhaupt praktiziert worden sind; zur Schwierigkeit, die archäologischen Daten zu interpretieren, s. Wright (1997). Fest steht jedenfalls, dass die miqweh-Praxis mit ihren präzisen Anforderungen erst im rabbinischen Schrifttum bezeugt ist. Falls es zutrifft, dass die Praxis für Menstruierende und Frauen mit einer nichtmenstruellen Blutung von Lev her nicht korreliert und ein Bad dort nur für Letztere geboten ist, gäbe es auch an diesem Punkt eine Gleichsetzung der Menstruierenden mit Frauen, die ausserhalb ihrer Regel Blutungen haben, festzustellen.
[42] Vgl. b Nid 31b: „Daher sagt die Tora, dass sie sieben Tage unrein sei, damit sie [nachher] ihrem Manne so lieb sei, wie [sie es war], als sie unter den Baldachin trat“. Diese Begründung, die einem Ehegatten quasi nach jeder Periode der Unreinheit seiner Gattin eine lustvolle Hochzeitsnacht verspricht, wurde bis in die heutige Zeit hinein um weitere Gründe erweitert, die auf medizinisch-biologischen bis hin zu religiös-psychologischen Überlegungen fussen (s. dazu z. B. die Angaben bei Biale [1984] 173 Anm. 12 oder die Gründe, die Greenberg [1990] 29 hervorhebt). Zu diesen Gründen gehört auch der v. a. von orthodox-feministischer Seite angebrachte identitätsstiftende Aspekt. Vgl. hierzu etwa Greenberg, die die Vorschrift des Eintauchens in die miqweh mit folgenden Worten als stärkend-identitätsstiftende Tradition darstellt: „Each month, as I immerse myself in the ritual waters, I feel a powerful sense of identity and unity with the generations of Jewish women who lived before me“ (dies. [1990] 29). V. a. aus feministischer Perspektive wäre es interessant, der m. W. noch nirgends umfassend behandelten Frage nachzugehen, welche Gruppen, Interessen und rollenbezogenen Tendenzen hinter den jeweiligen Begründungsmustern – von den ersten Zeugnissen bis heute – stehen. Steinberg (1997) wirft den unterschiedlichen Legitimationsmustern vor, im Grunde bloss als Apologie unhinterfragbarer Regeln zu dienen.
[43] Vgl. Hauptman (1998) 147 oder Fonrobert (2000) 15. Dass eine solche extrem polare Systematisierung den realen Positionen tatsächlich gerecht wird, bezweifle ich indes: Wie es durchaus AutorInnen gibt, die die Praxis gutheissen, jedoch auch kritische Gedanken dazu äussern, gibt es diejenigen, die gute Seiten ausmachen, jedoch den Schluss ziehen, dass gewisse Formen der Praxis heute abzulehnen seien – selbst die Arbeiten Adler (1976) und (1993) gehen m. E. in diese Richtung, obwohl oft gerade diese zwei Aufsätze als Extrembeispiele zitiert werden.
[44] Für Genaueres zur Geschichte s. etwa Siegele-Wenschkewitz (1991), Kellenbach (1994) 28-37, Schroer (1999) 29-31. Generell zum Thema vgl. auch Journal of Feminist Studies in Religion 7 (1991).
Dass hier auf die innerfeministische Antijudaismusdebatte fokussiert wird, soll keinesfalls den Eindruck erwecken, die feministische Theologie sei besonders anfällig für antijüdische Tendenzen. Antijudaismus hat sich zu einem „christlichen Gemeingut“ (Kampling [1993] 750) bzw. zu einer „christlichen Erblast“ (vgl. Dietrich/George/Luz [1999]) entwickelt, und das Achtgeben, nicht antijüdischen Interpretationsmustern zu verfallen, bleibt christlichen Theologien aller Schattierungen stets eine Aufgabe. Dass die Diskussion innerfeministisch bereits seit mehreren Jahrzehnten rege geführt wird, müsste in diesem Sinne schon eher als beispielhaft gewertet werden.
[45] Schroer (1999) 28.
[46] Kellenbach (1994) 41 und passim. Etwas andere, inhaltlich aber die gleichen Elemente umfassende Systematisierungen haben z. B. auch Heschel (1988) 72f. und Plaskow (zitiert in Schroer [1999] 32-35) vorgelegt.
[47] Kellenbach (1994) 57-106. Hier unterscheidet die Autorin wiederum drei Unterformen, das Judentum erstens als Antithese gegenüber dem frühen Christentum – wenn etwa Jesus so dargestellt werde, als sei er gar kein Jude, wenn die problematischen Äusserungen von Paulus gegenüber Frauen mit seiner jüdischen Herkunft erklärt und seinen egalitären, ‚christlichen‘ Aussagen entgegengesetzt würden etc. –, zweitens als Antithese gegenüber feministischer Rede von Gott – wenn z. B. die Art von Jesus, Gott mit ‚Abba‘ anzureden, als neuartig familiär gegenüber dem ‚jüdischen‘ autoritativen Vater-/Gottesbild gepriesen oder das christliche trinitarische Gottesbild als feministischen Werten näher als der strikte (jüdische) Monotheismus interpretiert werde. Drittens spricht sie vom Judentum als Antithese gegenüber der Göttin, wobei das Judentum hier nicht einfach mehr nur als Negativfolie gegenüber ‚Christlichem’, sondern bisweilen auch gegenüber ‚vorjüdischen‘ bzw. ‚heidnischen‘ Realitäten diene.
[48] Ebd. 107-122 – hierher gehört etwa das Muster, dem Judentum die Schuld am ‚Göttinnenmord‘ zuzuweisen, oder in christlich-patriarchalen Strukturen schlicht ein Rückfall in jüdisch-patriarchale Strukturen zu sehen.
[49] Ebd. 123-131. Die jüdische Religion werde damit aus heutiger Sicht bloss noch als Relikt aus alten Zeiten wahrgenommen und zeitgenössisches jüdisches Leben und Schaffen – gerade auch im feministischen Bereich – ignoriert.
[50] Vgl. ebd. 59.
[51] Zu den unterschiedlichen Varianten dieser Interpretationsweise von Mk 5,25-34 in feministischen Arbeiten s. Metternich (2000) 57-69, eine ganze Bandbreite von AutorInnen listet Kellenbach (1994) 111f. auf.
[52] Levine (1994).
[53] Ebd. 12-20.
[54] Ebd. 13, 20-33.
[55] Ebd. 13. Auf diese ‚allgemeinen‘ Beweggründe geht Levine allerdings nicht näher ein. Zu einer vorsichtigen Rekonstruktion gewisser Aspekte, die insbesondere Frauen an der Jesusbewegung bzw. dem frühen Christentum gereizt haben könnten, s. Ilan (2000). Ilans Untersuchung bestärkt Levines These insofern, als sie erstens keine direkten ‚feministischen‘ Motive ausmachen kann und zweitens zeigt, dass durchaus auch andere Bewegungen dieser Zeit – konkret wirft Ilan einen Blick auf die Therapeutai-Bewegung in Mittelägypten, auf die Gruppe der EssenerInnen und PharisäerInnen – für Frauen attraktiv waren.
[56] Levine (1994) 13.
[57] Ebd. Dass dieses Muster bisweilen in jüdischen Kreisen gegenüber der nahöstlichen, griechischen und römischen Gesellschaft spielt, führt Levine ebd. 21 aus und fügt lakonisch an: „The difference is that there is no one speaking on behalf of ‚paganism‘ here to protest“ (ebd.).
[58] Ebd.
[59] Für die Exegese vgl. die Ratschläge von Marie-Theres Wacker, zitiert bei Schroer (1999) 36. Sie plädiert erstens für eine möglichst grosse Methodenvielfalt, zweitens für den Einbezug der jüdischen und christlichen, religiösen, akademisch-wissenschaftlichen und säkularen Wirkungsgeschichte des Textes, der untersucht wird, drittens für eine grössere Kenntnis des realen Judentums und seiner Schriften unter christlichen ExegetInnen und viertens für ein ‚Stehenlassen‘ gewisser Befremdlichkeiten, die sich zwischen unterschiedlichen Religionstraditionen ergeben können. Beim letzten Punkt verweist sie interessanterweise explizit auf die ersttestamentlichen Reinheitsvorschriften.
[60] Schottroff/Wacker/Schroer (1995) 57.
[61] Kellenbach (1994) 139. In ihrer Arbeit prägt sie das Stichwort „teaching of respect“ (ebd. 133-140).
[62] Geht es auf der einen Seite noch immer darum, die Sensibilität für die Antijudaismusproblematik überhaupt erst zu entwickeln – im politischen Bereich denke man an den ‚Fall Hohmann‘, der zur Zeit die deutsche Politlandschaft bewegt –, wird es auf die andere Seite hin problematisch, wenn Antijudaismuskritik als Strategie zur Immunisierung gegenüber Kritik missbraucht wird. Eine Auseinandersetzung letzterer Art dokumentieren auf wissenschaftlich-theologischer Ebene etwa die Paragraphen 249 und 262 in Keel/Uehlinger (1998). Unter dem Stichwort „Was darf man sagen? Und was nicht?“ trat diese Problematik auf politischer Ebene in jüngerer Zeit durch den vorherrschenden amerikanisch-europäischen Diskurs um die so genannte zweite Intifada und die Politik Ariel Sharons hinlänglich in den Vordergrund, vgl. dazu etwa Die Weltwoche 24 (13. Juni 2002) 36-45.
[63] Diesen Weg wählen z. B. Krobath (1994) und Metternich (2000), wobei sich Letztere bisher am umfangreichsten damit beschäftigt hat. Auch Fredriksen (1995) beispielsweise versucht den Nachweis zu erbringen, dass das biblische Rein-Unrein-Denken keine problematische soziale Stigmatisierung impliziere, wobei sie dies aber gänzlich ausserhalb des Kontextes der Antijudaismusdebatte, in Auseinandersetzung mit Thesen des Neutestamentlers Marcus Borg tut.
[64] Verknüpft mit der ersten Strategie wählen wiederum Krobath (1994) und Metternich (2000) diesen Weg, unabhängig von der ersten verfolgen z. B. Kahl (1996) und Rosenblatt (2000) diese zweite Strategie.
[65] Vgl. Krobath (1994), die sich spielerisch in die Frau von Mk 5,25-34 hineinversetzt, die ihrerseits erstens zu bedenken gibt, dass die Kategorisierung in rein und unrein „doch keine moralische, sondern eine kultische“ (ebd. 16) sei, und zweitens betont, dass sie die Menstruationsregelungen nicht als Diskriminierung, sondern als Schutz betrachte, als Frau zumindest während einer gewissen Zeit im Monat den sexuellen Ansprüchen ihres Ehemannes enthoben zu sein (ebd. 16f.).
[66] Metternich (2000) 78-132.
[67] Ebd. 112.
[68] Obwohl sie nicht verhehlt, damit einige bedeutende AutorInnen gegen sich zu haben, kann man nach Metternich beim Vergleich der beiden Schriftkorpora „nicht von einem Umbruch der Menstruationsgesetzgebung sprechen“ (ebd. 92). Somit läuft ihre Untersuchung des mischnaischen Materials primär auf eine Bestätigung des biblischen Befundes heraus.
[69] Ebd. 83.
[70] Ebd. 84f. Nach Metternich lässt Lev anders als bei den Äusserungen zu Männern mit Ausfluss offen, ob eine Frau mit Blutungen, wenn sie andere Menschen – bei Mk 5,25-34 konkret Jesus – berührt hat, ihre Unreinheit an diese weitergegeben habe oder nicht. Zur Frage nach der Verunreinigung von Jesus durch Unreine gibt es unterschiedlichste Überlegungen. Nach Kahl (1996) 66f. etwa stellt sich die Frage nach einer Verunreinigung bei der Frau mit Blutungen insofern überhaupt nicht, als ja sofort (eu0qu\j) mit ihrer Berührung die Heilung/Reinigung eintrat.
[71] Batmartha (1996).
[72] Ebd. 44.
[73] Ebd. 48f. Dies gegen Metternich, s. oben Anm. 70.
[74] Ebd. 49. Dass eine solche Regel auch für Männer mit Samenerguss fehlt, erwähnt Batmartha nicht. Da sie von der Prämisse ausgeht, dass die Bestimmungen „eine gesellschaftliche Realität, in der Männer sich ausserhalb des Hauses bewegen, während Frauen die Öffentlichkeit meiden“ (ebd. 48), widerspiegele, könnte sie in diesem Fall aber kaum denselben Schluss ziehen wie bei den Frauen. Zudem schliesst sie bei Frauen mit Blutungen ausserhalb der Menstruation gerade aus der Nicht-Erwähnung einer Regel darauf, dass Berührungen kein Problem waren (ebd. 48f.). Auch ihre nicht weiter begründete Aussage zu den Kindern von Müttern im Zustand menstruell bedingter Unreinheit – diese seien vom Verdikt sicher nicht betroffen, dass sie durch Berührung unrein würden (ebd. 49 Anm. 25) – bedürfte m. E. eines sorgfältigeren Urteils.
[75] Ebd. 50. Die These, dass die Etymologie auf eine räumliche Absonderung verweist, taucht in der Literatur zwar ab und zu auf, ist jedoch umstritten. Für Überlegungen auf etymologischer Ebene s. neben Milgrom/Wright/Fabry (1986) z. B. jüngere Levitikuskommentare wie Levine (1989) 97 und Milgrom (1991) 744-745, den spezifischen Aufsatz Greenberg (1995) oder Anmerkungen in diversen Arbeiten zum Thema Menstruation im jüdisch-christlichen Kontext, konkret etwa Fonrobert (2000) 16-19. Batmarthas Verweis auf andere Bibelstellen – einen mischnaischen Text zur Bestätigung von Bräuchen vorpriesterlicher Zeit herbeizuziehen, ist nochmals ein anderes Problem – erachte ich insofern als wenig überzeugend, als sich Num 5,2-4 nicht nur auf Frauen und Dtn 23,10ff. nach meiner Interpretation überhaupt nur auf Männer mit Samenerguss bezieht. Die Textstellen würden eher nahelegen, dass der Begriff niddah für alle Unreinen zu gelten hätte, vermögen aber kaum die Einschränkung auf unreine Frauen zu erklären.
[76] Batmartha (1996) 51.
[77] Ebd. 54. Vgl. oben Anm. 65.
[78] Ebd. 54f.
[79] Ebd. 55.
[80] Dass der niddah-Begriff in Esra 9,11 eindeutig mit der Menstruationsthematik in Verbindung zu bringen ist, könnte – geht man davon aus, dass dem Begriff eine Grundbedeutung ‚Vertreibung, Ausscheidung‘ eignet – allenfalls angezweifelt werden. Die mit dem niddah-Begriff verknüpften Unklarheiten bleiben für geschlechterpolitische Untersuchungen eine Crux. Da niddah im mischnaischen Hebräisch für die menstruierende Frau selbst stehen kann, gälte es vor allem noch genauer der Frage eines Bedeutungswandels des Begriffs nachzugehen.
[81] Ebd. 56.
[82] Ebd.
[83] Ebd.
[84] Ebd. 57f. Sie stellt dazu zwei m. E. etwas überzogene Extremfälle nebeneinander, einen Mann, der bis zu seinem Lebensende „tagtäglich durch unwillentliche Pollution oder Ausübung des Koitus in den Status der Kult-Unpässlichkeit geraten“ (ebd. 58) könne, und eine Frau, der es gelingt, ihre Fruchtbarkeit nach einer Geburt durch Stillen bis zu drei Jahren hinauszuzögern, und die während ihrer Schwangerschaften und nach ihrem Klimakterium permanent kultfähig ist, also ausser zum konkreten Schwangerwerden offensichtlich nie Geschlechtsverkehr mit einem Mann hat.
[85] Ebd. 58.
[86] Die Ebene der Gefühle in Überlegungen zur Vorstellung von Un-/Reinheit miteinzubeziehen soll damit keinesfalls kritisiert werden. Im Gegenteil scheint mir die Einsicht sehr wichtig zu sein, die sich durch die Lektüre von Metternich und Batmartha nahelegt, dass nämlich die Gefühle Betroffener prinzipiell sehr unterschiedlich sein und von der erwähnten Beschämtheit bis zu befriedigendem Stolz, durch Einhalten der geforderten Regeln den Rollenerwartungen der betreffenden Gesellschaft tadellos zu entsprechen, variieren können. Die Frage, an welche spezifischen Gefühle eine zeitlich und thematisch klar umgrenzte Vorstellung von ‚Unrein-Sein‘ am ehesten geknüpft sein könnte, kann zwar durchaus an die Exegese herangetragen werden, wird aber in den wenigsten Fällen eindeutig beantwortbar sein.
[87] Noch sind in christlich-feministischen Arbeiten Überlegungen zu negativen wie positiven Aspekten der Reinheitsregelungen selten. Diesbezüglich interessant ist Feld (1999), die in Lev in verschiedener Hinsicht bedenkenswerte Punkte aufspürt: So schildere Lev erstens eine Denkweise, die entgegen der heutigen Tendenz, weibliche Körperlichkeit kommerziell zu funktionalisieren, die „menschliche Körperlichkeit als Teil der religiösen Kultur“ (ebd. 52) wahrnehme. Zweitens vermöge uns Lev inmitten der heutigen Kultur, die in Politik, Ökologie und auf individueller Ebene von einer Opferideologie mitgeprägt sei, durch den Sühnebegriff mit einem entlastenden Konzept zu konfrontieren, und drittens führe das priesterliche Reinheitskonzept vor Augen, wie Reinheitsstreben nicht schöpfungsgefährdenden Charakter annehmen müsse, sondern durchaus „in der Sehnsucht nach Heiligkeit im Vollzug des Lebens“ (ebd.) gründen könne.
[88] Abgesehen davon, dass von feministischer Seite her immer öfter anerkannt wird, dass ‚Frauenräume‘, die durch Isolationsregelungen entstehen, als Freiräume für Frauen und ihre Anliegen durchaus dienlich sein können.
[89] Rhode (1996) 293. Nach diesem Grundsatz zielt Batmarthas Seitenhieb gegen die Hermeneutik des Verdachts bzw. des Argwohns, wenn man ihrer Wortwahl den Vorzug gibt (Batmartha [1996] 58), an der Sache vorbei und lässt die Frage aufkommen, was Batmartha überhaupt unter feministischer Exegese versteht. Um auf Differenzen in unterschiedlichen Feinheitsgraden überhaupt aufmerksam zu werden, bleibt eine Hermeneutik des Verdachts unverzichtbar – was nicht heisst, dass die feministische Arbeit getan ist, sobald Verdachtsmomente gefunden worden sind. Dann beginnt erst der zweite wesentliche Arbeitsschritt, das genaue Prüfen dieser Verdachtsmomente, wobei sich gewisse Annahmen auch schlichtweg als unbegründet herausstellen können oder präzisiert werden müssen.
[90] Dass Batmartha gewisse Diskriminierungen nicht weiter problematisiert und so ein Stück weit ausblendet, bestätigt in gewisser Weise ihre eigene Begriffswahl. Indem sie nach „misogynen Tendenzen“ (Batmartha [1996] 44) fragt, also nach Tendenzen von Frauenhass, sucht sie nach sehr spezifischen Formen von Frauendiskriminierung. Sie geht damit darüber hinweg, dass Diskriminierungen durchaus ohne misogyne Einstellung der HandlungsträgerInnen auftreten können – gewisse Geschlechterungerechtigkeiten können z. B. ganz einfach gesellschaftlich eingespielt sein, weshalb sie jedoch mit Jean-Claude Wolfs Terminologie gesprochen (Wolf [1996], insbes. 143) noch nicht harmlos und entschuldbar, höchstens verzeihbar sind.
[91] S. insbesondere Ilan (1997) und (1999), die sich allerdings erst auf die späte ersttestamentliche Zeit und die Zeit danach beziehen.
[92] Dies versucht z. B. Mary Rose D’Angelo (1999), die denn auch davon ausgeht, dass gerade menstruationsbedingte Restriktionen „might well have been viewed by the early Christians not only as taught by Judaism but even more as universally comprehensible, as ‚natural‘“ (ebd. 88). Schon dieser Vergleich und nicht erst die Frage, ob die jüdischen Reinheitsregelungen zu frühchristlicher Zeit frauendiskriminierend waren oder nicht, könnte also dazu dienen, Jesus in der Markuserzählung nicht mehr in antijüdischer Manier als Überwinder eines spezifisch jüdischen Übels zu interpretieren. Die Frage nach geschlechterpolitischen Tendenzen der Regelungen zu konkreten Zeiten an konkreten Orten bliebe damit eine separate Aufgabe, deren Antwort von der Antijudaismusdebatte nicht bereits vorgegeben wäre.
[93] Batmartha (1996) 58.
[94] Bird (1987) 401.
[95] Schroer (1995) 133, vgl. auch bereits Archer (1983) 277. Schroer betont jedoch, dass das Rein-Unrein-Denken bei P immerhin noch von Moralvorstellungen losgelöst und insofern wertfrei gewesen sei (Schroer [1995] 133), was dann z. B. bei Ez 36,17 definitiv nicht mehr gesagt werden könne (ebd. 149).
[96] Ebd. 159.
[97] Wegner (1992) 38. Den Aspekt, dass es bei den Reinheitsregeln um mehr als nur eine individuelle Verantwortung geht, erwähnt z. B. auch Korte (2000). Sie betrachtet die Reinheitsregeln im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Ehre/Schande und Rettung/Verdammung und kommt so zum Schluss: „The preservation of religious purity is regarded as each woman’s individual responsibility, while at the same time her purity can determine the status of a whole group: her immediate family, the extended family, the tribe, or the congregation“ (ebd. 318).
[98] Gerade bei Batmartha (1996) und Metternich/Keller/Feld (2002) besteht m. E. einge gewisse Tendenz, die Reinheitsregeln gegenüber gewissen Anfragen allein durch den Nachweis, dass es sich dabei um kultisch-rituelle Kategorien handle, geschlechterpolitisch rehabilitieren zu wollen.
[99] Eilberg-Schwartz (1990) 177-216. Mit seiner Prämisse „The body is one of the places in which social concerns are symbolically enacted“ (ebd. 177) kommt Eilberg-Schwartz bewusst von der Anthropologie her. In seiner Arbeit konzentriert er sich primär auf den biblischen, insbesondere den priesterschriftlichen Umgang mit Körperflüssigkeiten. Auch das Rein-Unrein-Denken betrachtet er entsprechend praktisch ausschliesslich im Zusammenhang mit Körperflüssigkeiten. Jüngere Arbeiten, die sich über diesen eingegrenzten Bereich hinaus mit den Symbolismen der biblischen Reinheitsthematik insgesamt beschäftigen, stehen m. W. aus.
[100] So wird etwa die Definition von Kultur als „an historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes toward life“, die von Clifford Geertz geprägt wurde, ernst genommen (Overholt [1996] 3f.).
[101] Ebd. 5.
[102] Ebd.
[103] Fonrobert (2000).
[104] Ebd. 9.
[105] Vgl. als Beispiel dazu ihre Diskussion um die Didaskalia, wie sie unten unter Anm. 118 kurz ausgeführt wird.
[106] Fonrobert (2000) 16.
[107] Ebd.
[108] Ebd. 43.
[109] Ebd. Entsprechend betont sie auch, dass sie in keiner Weise anstrebt „to judge rabbinic literature as producing either a misogynist or a proto-feminist discourse, as if it simply is one or the other, rather than being read by us as such“ (ebd.).
[110] Vgl. ebd. 42, 61-63, 130-135. Konstatiert Fonrobert z. B. wichtige Unterschiede bezüglich der konkreten Bilder, stellt sie Ähnlichkeiten in der Tendenz fest, Frauen als ganz andere Kreaturen als Männer zu definieren (ebd. 61-63).
[111] Ebd. 56.
[112] Fonrobert zieht das Fazit, dass „the architecture of the interior of women’s bodies is constructed as a function of the male subject“ (ebd. 101): Frauenkörper würden in diesem Diskurs zu Objekten degradiert und instrumentalisiert (vgl. z. B. ebd. 56-59, wo auch zum Ausdruck kommt, dass nur der männliche Körper als normativer menschlicher Körper gedacht wird) und die soziale Verortung der Frau im Haushalt zementiert (ebd. 101).
[113] Ebd. 69. Mit dem Begriff ‚counterdiscourse‘ lehnt sich Fonrobert an Ilana Pardes’ Werk ‚Countertraditions in the Bible‘ (Pardes [1992]) an. Als Kriterium zur Unterscheidung von Diskurstypen nennt Fonrobert folgende Fragen: „Is sexual difference, the difference between male and female, constructed hierarchically? Is the notion of sexual difference as such rendered mute by either an objectification or instrumentalization of women or women’s bodies? Is sexual difference perhaps even erased altogether through constructions of femininity in masculine terms? Or is sexual difference discussed in terms that allow for different, complementary subject positions to emerge?“ (Fonrobert [2000] 69f.) Sie betont zudem, dass es im Falle eines Gegendiskurses zentral sei, dessen Beziehung zum dominierenden Diskurs zu reflektieren. Erst dadurch würde sich z. B. klären, ob er überhaupt die Realität definierende Macht der dominierenden Rede einzuschränken vermöge (ebd. 70).
[114] Ebd. 73.
[115] Bezüglich des Körperdiskurses arbeitet Fonrobert b Nid 57a als Gegendiskurs heraus (ebd. 70) – die Stelle lässt Shmu’el dafür einstehen, dass eine Frau nicht in den Unreinheitsstatus fallen kann, bevor sie ihren Blutfluss selber fühlt –, denn „Shmu’els reading (...) reconfigures the female body as animated, as a sentient entity. All of a sudden, the ‚house‘ is no longer empty, but has a master of ist own“ (ebd. 72), und der Frauenkörper „is reconstituted as the embodiment of its subject, the woman“ (ebd. 101). Als ‚taming strategies‘ betrachtet sie die drei Antworten auf Shmu’els Votum, die entweder auf einer anderen Auslegung des verwendeten Bibelzitates ‚in her body‘ (Lev 15,19) beharren (ebd. 73f.), Beispiele anfügen, die zeigen sollen, dass äusserliche Kriterien den Status von Un-/Reinheit bestimmen müssen (ebd. 74-79), oder Shmu’els Rede von der Empfindungsfähigkeit der Frau schlicht übergehen (ebd. 79-83).
[116] Ebd. 103ff. Fonrobert demonstriert hier auf interessante Weise den Doppeleffekt, der von gewissen Texten ausgehen kann: Während die präzise Differenzierung von Bluttypen als Erleichterung der niddah-Regeln für Frauen gelesen werden können, weil sie gewisse Arten von Blut(-flecken) als nicht verunreinigend von den Regeln ausklammert (so z. B. Hauptman [1998] 153, 168), erzeugen sie zugleich einen Diskurs, der die Frauen als Interpretationsobjekte – „disowned of their bleeding“ (Fonrobert [2000] 115) – den Expertisen der Rabbinen unterwirft und damit Autoritätsstrukturen schafft „that were transformed into social reality till the modern period“ (ebd.). Mit b Nid 20b, einem Text, der eine Frau, Yalta, die Autorität der von ihr befragten Rabbinen in Frage stellen lässt, findet Fonrobert zwar auch in diesem Zusammenhang wieder eine Stelle, die den dominierenden Diskurs aufbricht (ebd. 117-122), gleichzeitig aber erneut Strategien, die eine mögliche Wirkungskraft dieses ‚Lapsus‘ eindämmen (ebd. 122-125).
[117] Ebd. 129. Unter ‚ women’s spaces‘ versteht sie generell „cultural spaces in which women relate directly to women and can establish relationships that are not under the immediate control of male authority, whether of father, husband, or rabbi“ (ebd.). Obwohl solche Räume i. E. meist – wie offenkundig oder subtil auch immer – indirekt von dieser Autorität kontrolliert bleiben, seien sie „potential sites of resistance against gender domination, or at least allow for questioning it and for creating temporary reprieve from immediate forms of gender domination“ (ebd.).
[118] Bezüglich der ‚women’s spaces‘ konstatiert Fonrobert bei den Autoren einen Konflikt zwischen Sittlichkeits-Forderungen, die solche Räume prinzipiell zulassen, und dem Wunsch nach Kontrolle, die wiederum einschränkend wirken (ebd. 150). Am Beispiel der Didaskalia (s. ebd. 160-209), die vom Judentum zum Christentum konvertierte Frauen kritisiert, die die Menstruationsregelungen weiter befolgen wollen, zeigt sie auf, dass gerade auch hinter dem Verbot der niddah-Regelungen das Bestreben stehen kann, die Selbstbestimmung von Frauen zu unterdrücken – wodurch offenkundig wird, dass die Bejahung oder Verneinung der niddah-Regeln keinesfalls schon per se eine Bejahung oder Verneinung (oder umgekehrt) der Subjektivität von Frauen bedeutet (ebd. 209).
[119] Diese Einsicht tangiert z. B. auch die aktuelle Debatte um eine Rückbesinnung auf Körperlichkeit: Es wird klar, dass eine solche Rückbesinnung zwar anhand von Modellen aus der Geschichte geschehen kann, dass ‚Körperlichkeit‘ als Faktor per se jedoch noch keinesfalls ausreicht, um Frauen als Subjekten gerecht zu werden.
[120] Wobei diesem Anliegen natürlich durchaus auch in Arbeiten Rechnung getragen wird, die sich nicht speziell auf der Diskursebene konzentrieren (vgl. z. B. Cohen [1991]).
[121] Fonrobert (2000) 102.
[122] Ebd. 9.
[123] Ebd.
[124] Wobei auch in diesen Bereichen durchaus geschlechterpolitisch brisante Textstellen auszumachen sind. Für die Aussatzthematik vgl. etwa Num 12, wo der Aussatzbefall Mirjams beschrieben wird. Aber auch Themenbereiche wie Ehebruch oder die Polemik gegen Wahrsagerei und Totenkult könnten im Rahmen geschlechterpolitischer Überlegungen zur Un-/Reinheitsthematik interessante Forschungsfelder darstellen. Noch kaum bearbeitet ist weiter die Frage, inwiefern sich bereits ersttestamentlich Verknüpfungen von Jungfräulichkeit und Reinheit oder von Vergewaltigung und Unreinheit abzeichnen.
Natürlich muss eingeräumt werden, dass in vielen Arbeiten klargestellt wird, auf welche Thematik man sich bezieht. Umso erstaunlicher ist dann aber doch die Tendenz, die sich in der Literatur, und zwar überhaupt nicht allein in der feministischen, abzeichnet, von der Untersuchung eines Einzelbereichs auf Un-/Reinheitsvorstellung generell zu schliessen.
[125] Als eine in dieser Hinsicht vorbildliche Arbeit sticht Be)er (1994) heraus.
[126] Gewisse Arbeiten exerzieren eine solche Vorgehensweise bereits vor, s. z. B. Be)er (1994), die etwa darauf aufmerksam macht, dass die Menstruation zur Zeit, als die P-Texte entstanden, im Allgemeinen ein wohl um einiges selteneres Phänomen war als heute (ebd. 158). Ein bemerkenswertes Beispiel stellt Eskenazi (1992) dar: Die Autorin deutet die Polemik um die Unreinheit der Völker im Land und das damit verbundene Mischeheverbot als Indiz für eine positive erbrechtliche Stellung der israelitischen Frauen in nachexilischer Zeit. Das Mischeheverbot, meint sie, sollte verhindern, dass über ‚ausländische‘ Frauen Erbbesitz verloren ging. Ihr geschlechterpolitisches Fazit lautet sodann: „Rather than being simply a misogynous act, this dismissal of foreign wives is an opposition to some women in favor of others“ (ebd. 36). Auch hier könnte man natürlich wieder die Frage ansetzen, welche Problematiken einer solch starken Verknüpfung von Familienbesitz und Volkszugehörigkeit aus heutiger Sicht innewohnen.
[127] Vgl. z. B. Rapp (2001) oder Erbele-Küster (2003).
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Veronika Bachmann,
arbeitet als Assistentin am Lehrstuhl für alttestamentliche Wissenschaft von Prof. Dr. Thomas Krüger an der Universität Zürich. Sie hat in Freiburg/Schweiz und Tübingen Theologie und Philosophie studiert.
© Veronika Bachmann, 2003, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317