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02-2003

Kune Biezeveld Der Splitter und das Bild - Das Bilderverbot aus neuer Perspektive

Abstract:

Feminist theologians, trying to integrate their daily life into God language, are easily blamed for violating the prohibition of images. Classical theologians, however, run the risk of violating this very prohibition themselves by not sharply distinguishing between the revelation by word, at the one side, and their own theological imagination, on the other. Kune Biezeveld interferes in this mainly North-American debate by disentangling the possible contrast between projection and revelation from the original issue: the prohibition of material cult images, related as these are to the cults of other gods and goddesses than YHWH. From here, a next step can be made: a laying bare of the backlash against feminist God language as grounded on anachronistic views on the origins of the Israelite religion.

Einleitung

Immer wieder scheint das sogenannte “Bilderverbot” einem fruchtbaren Gespräch zwischen feministischer und “klassischer” Theologie im Wege zu stehen. In den gegenwärtigen theologischen Debatten steht der Begriff “Bilderverbot” als Chiffre für den Graben, der jegliche menschliche Rede von Gott und Gott an sich trennt. Indem Gott letztendlich doch immer “der ganz Andere” ist, entzieht Gott sich all unseren Entwürfen und Konzepten, unseren Metaphern und Modellen. Diese Überzeugung impliziert allerdings nicht, dass jegliches Reden von Gott unmöglich sei, obwohl beispielsweise die sogenannte “negative Theologie” genau diese Annahme als theoretische Prämisse benutzt. Der theologische Mainstream allerdings hat sich Karl Barths Diktum zu Herzen genommen: “Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben”. [1]

Allerdings wird die Theologie auf dieser Grundlage auch immer mit der anderen Seite des Bilderverbots konfrontiert; denn wir können den Abstand zwischen Gott und unseren sprachlichen Möglichkeiten nicht nur zu gering veranschlagen, sondern auch zu groß. Wir schaffen uns dann unsere eigenen Bilder von Gott, ohne uns groß darum zu kümmern, wer dieser Gott eigentlich sein will. Nach beiden Richtungen hin scheint das Bilderverbot eine besondere Rolle in der Auseinandersetzung zwischen feministischer und “klassischer” Theologie zu spielen: Beide Seiten behaupten, dass die jeweils andere Seite das Bilderverbot missachte. In Bezug auf die feministische Theologie kann sogar gesagt werden, daß sie ihre Entstehung dem Vorwurf verdankt, die klassische Theologie missachte das Bilderverbot. Parallel zu einem wachsenden feministischen Bewusstsein in den 1950-1960er Jahren wurde die Macht der Sprache entdeckt: “Wer die Welt benennt, besitzt sie,” wurde feministischer Konsens. Auf die Theologie angewandt, bedeutete dies, dass auch die Sprache der theologischen Tradition als Machtinstrument benannt wurde und “im Namen Gottes” gesprochene Worte als bloße Worte “mächtiger Männer” entlarvt wurden. Die Reaktion feministischer TheologInnen war ein Bildersturm, der sich auf genau diese Sprache richtete – und so die eine Hälfte des Bilderverbots konsequent umsetzte. [2]

Als die FeministInnen nach einer ersten Phase der Kritik dann aber selbst damit begannen, eine alternative Sprache für das Göttliche zu entwickeln und damit selbst zum ersten Mal zum Subjekt der Theologie wurden, bekamen sie es alsbald mit der anderen Seite des Bilderverbots zu tun: Hiermit entfernten sie sich zu weit vom Kern christlichen Glaubens, lautete der Vorwurf – “das sind alles selbstbezogene Hirngespinste” und: “das sagt mehr über die eigene Person als über Gott aus”. [3] An diesem Vorwurf hat sich seit damals wenig geändert. Die US-amerikanische Theologin Laurel Schneider spricht in diesem Zusammenhang von einem “Backlash against feminist theology”, also von einem Gegenangriff auf die feministische Theologie. [4]

Sachlich geht es um verschiedene Fragen: Einerseits darum, wie das Reden von Gott sich konstituiert, also um die Faktoren, die dabei möglicherweise eine Rolle spielen – oder auch nicht. Und andererseits steht die Wahl sprachlicher Bilder zur Debatte: Welche Sprache ist für das Göttliche geeignet? Und welche nicht? Es muss wohl nicht eigens ausgeführt werden, dass aus der Perspektive klassischer Theologie vor allem weiblich konnotierte Sprachbilder kritisch betrachtet werden. Denn hiermit, so der Verdacht, entferne frau sich von der Hauptlinie biblischer Überlieferung und komme vermientem Terrain gefährlich nahe – nämlich dem Terrain der vielen Götter und vor allem: dem der vielen Göttinnen und des mit ihnen assoziierten “Fruchtbarkeitskults”.

Mein Ziel in diesem Aufsatz ist es, dieses Problem noch einmal von neuem zu betrachten. Eine Bemerkung vorweg: Indem ich auf das Bilderverbot soeben die Kategorien “nahe”, “zu nahe”, “weiter weg”, “zu weit weg” angewandt habe, habe ich mich de facto innerhalb der Kategorien “klassischer” Theologie bewegt.

In all ihrem Variantenreichtum gründet die “klassische” Theologie auf einem gemeinsamen Fundament, auf der Normativität von Bibel und Tradition. Das wirklich spannende Problem ist also eigentlich, die Basiskategorien selbst kritisch zu hinterfragen: Wer legt eigentlich die Normen fest? Gibt es einen Fixpunkt, an dem jede Aussage geeicht werden kann? Diese Fragen zielen ins Herz “klassischer” Theologie, entstammen aber zugleich dem Herzen feministischer Theologie. Nach Meinung feministischer TheologInnen beinhaltet der Verweis auf Grenzen oder Verbote nicht das Recht, sich eo ipso jeglicher kritischer Betrachtung zu entziehen. “Wo Schmutz ist, ist ein System,” sagt die Ethnologin Mary Douglas. “Schmutz ist ein Nebenprodukt systematischer Ordnung. Und Ordnung entwickelt man nun einmal parallel zum Aussortieren desjenigen, was nicht ins System passt.” [5] Die Ethnologin behauptet in diesem lakonischen Sätzen die Relativität jeglicher menschlicher Ordnung: Was in dem einen System als schmutzig gilt, gilt in dem anderen System als rein. Allerdings: Sind beide Kategorien erst einmal festgelegt, scheinen sie kaum mehr veränderbar. [6]

Wenn frau diese Herangehensweise berücksichtigt, wächst der genaueren Analyse des Bilderverbots eine zusätzliche Dimension zu: Dann stellt sich nämlich die Frage, ob nicht jegliche Form der Begrenzung das Risiko in sich trägt, gleichzeitig eine Übertretung des Bilderverbots zu implizieren. Denn warum sollte die eine Vorstellung von Gott adäquat sein, die andere aber nicht?

Genau besehen haben wir also mit dem Bilderverbot ein kritisches Instrument in der Hand, womit wir nicht nur andere Positionen, sondern jegliche Versprachlichung der Bedeutung des Begriffs “Gott” kritisch hinterfragen können. [7] Durch ihren ureigenen Beitrag fordert die feministische Theologie die “klassische” Theologie dazu heraus, das Bilderverbot wirklich ernst zu nehmen, indem sie es in das Spannungsfeld platziert, in das es ursprünglich hineingehört.

Ich gehe folgendermaßen vor: Im nächsten Abschnitt skizziere ich anhand einer exemplarischen Diskussion den Hintergrund für das schwierige Gespräch zwischen feministischer und “klassischer” Theologie. Dies wird mich zur Benennung der Spannung zwischen Imagination und Offenbarung führen. Danach wende ich mich der Bedeutung des biblischen Bilderverbots mit der Frage nach der Beziehung zwischen Wort und Bild zu. In einem weiteren Schritt behandle ich die in der Tradition festgelegten Normen in Bezug auf das Reden von Gott von neuem, und zwar aus der Gender-Perspektive. Schließlich werde ich meinen LeserInnen einen “Splitter” aus einem vor langer Zeit zerschlagenen Bild in die Hand drücken – zur weiteren Betrachtung.

Imagination als theologisches Instrument

Es wäre ein Trugschluss, zu vermuten, leidenschaftlicher Einsatz für das Bilderverbot beinhalte automatisch Zurückhaltung, sobald es um Imagination in der Theologie gehe. Im Gegenteil – beide mir vor Augen stehende Diskussionspartner nutzen Imagination in ihren theologischen Entwürfen. Bei den einen springt das mehr ins Auge als bei den anderen: Dass feministische TheologInnen mit ihrer Betonung des konstruktiven Charakters jeglicher Theologie ihre eigene Imaginationskraft einbringen wollen, liegt auf der Hand. Aber kann man als “klassischer” Theologe feministischen KollegInnen Projektion ankreiden, selbst aber unbeschadet den Begriff “Imagination” einsetzen, wie es beispielsweise der US-amerikanische Theologe Garrett Green tut? Er hat seinen Vorwurf, feministische TheologInnen missachteten mit ihren neuen theologischen Entwürfen das Bilderverbot, unter anderem in einem Buch mit dem Titel “Imagining God. Theology and the Religious Imagination” formuliert. [8]

Greens vorrangige Zielscheibe ist seine US-amerikanische Kollegin Sallie McFague, die in ihren Büchern eine neue Sprache für das Göttliche sowohl theoretisch unterbaut wie realisiert. [9] Sie folgt darin den Vorgaben der sogenannten “Konstruktiven Theologie”, die mittels kreativer Imagination mögliche Bedeutungen des Göttlichen zu formulieren versucht. [10]

Daneben nutzt McFague in ihren theologischen Arbeiten vor allem die Metapherntheorie des französischen Philosophen Paul Ricoeur. [11] Mittlerweile kann Ricoeur als Lotse vieler TheologInnen bei der Entdeckungsreise ins Land poetischer und metaphorischer Sprache gelten; Ricoeur verweist auf das kreative Sprachspiel, das durch Metaphern eine neue Wirklichkeit erschafft. Metaphern, so Ricoeur, haben eine enorme Aussagekraft, aber immer unter Vorbehalt. Eine Metapher kann nicht alles sagen; sie ist niemals “nachweislich richtig”. “Eine Metapher ‘ist’ und ‘ist nicht’,” sagt Ricoeur. [12] Mit ihrer Hilfe wird etwas Bedeutungsschweres ausgesagt; aber gleichzeitig wispert sie: “Nein – das ist es nicht”. Auf den Bereich menschlicher Rede von Gott angewandt, sieht McFague hier eine Verbindung zum Bilderverbot: Reden von Gott verstanden als metaphorisches Reden bedeutet zwar, dass ein bestimmtes Bild von Gott eine besondere Aussagekraft hat, neues Licht auf die Bedeutung des Göttlichen wirft; aber gleichzeitig kann dies niemals damit deckungsgleich sein, wer Gott eigentlich ist. In einer Metapher, in einem einzigen Sprachbild, kann Gott nicht festgelegt werden. Dies ist absolut keine Außenseiterposition – auch “klassische” TheologInnen werden dieser Aussage guten Gewissens zustimmen. [13]

Nach McFague hat die klassische Theologie das hier implizierte Bilderverbot allerdings nicht konsequent geachtet, so dass bestimmte Metaphern normativ und dominant werden konnten. So wird behauptet, dass einige Bilder für Gott – zum Beispiel das Wort “Vater” – besonders treffend, andere aber per se ungeeignet seien. McFague selbst sieht die Notwendigkeit, immer neue Sprachbilder für Gott zu suchen. Reden von Gott, so betont sie, geschieht nun einmal nicht losgelöst von unseren sozialen und politischen Kontexten.

Diese Haltung hat McFague die zweifelhafte Ehre eingebracht, mit einem eigenen Sammelband gegnerischer Artikel beglückt worden zu sein. Ich nenne diese Ehre “zweifelhaft”, weil dieses Buch – und die darauffolgende Diskussion – als beispielhaft für die missglückte Kommunikation zwischen feministischer und “klassischer” Theologie gelten kann – einen Sachverhalt.Catherine LaCugna verwies in ihrer Rezension dieses Sammelbandes darauf, dass die AutorInnen den Intentionen McFagues und anderer feministischer TheologInnen in keiner Weise gerecht würden. [14] Dies kommentierte der Herausgeber des Sammelbandes folgendermaßen: “Schade, das hätte so eine schöne Rezension werden können – aber leider hat LaCugna sich nicht die Mühe gemacht, die wahren Beweggründe hinter der Kritik herauszufinden.” [15]

Ich möchte versuchen, seinem Wunsch in einem einzigen Punkt zu entsprechen, um herauszufinden, ob ich einen anderen Schluss als LaCugna ziehen kann. Dabei werde ich speziell den Artikel des bereits oben genannten Garrett Green unter die Lupe nehmen. [16]

McFague, so behauptet Green, geht von einem falschen Verhältnis zwischen der Rede von Gott und unserem Mensch-Sein aus. Nicht wir sind es, die eine Sprache für Gott entwerfen – nein, diese Sprache wird uns bereits von der Bibel an die Hand gegeben. Der Gedanke, dass das biblische Reden von Gott unserer Zeit und unseren veränderten Einsichten angepasst werden solle, gehe vollkommen an der Geschichte vorbei, die die Bibel uns eigentlich erzählen wolle. Würden die biblischen Metaphern durch andere ersetzt, so werde damit auch deren Inhalt ersetzt, ergo werde die biblische Botschaft an sich verfälscht. Green schließt hieraus: “Neue” Metaphern für eine Revision herkömmlicher Theologie einzusetzen – so wie Sallie McFague dies tut – , das sei nichts anderes als eine weitere Umdrehung in dem jahrhundertealten Mechanismus menschlicher Projektion. Mit dem Gott der Bibel aber hätten diese “neuen” Bilder nichts zu tun.

In der hier formulierten Kritik an McFague geht es allerdings auch um anderes als nur um diese eine Variante feministischer Theologie. Hier schwingen Auseinandersetzungen aus dem breiteren Kontext US-amerikanischer Theologie mit – konkret geht es um die Diskussion zwischen der sich auf Karl Barth berufenden sogenannten Yale-Schule und der Chicago-Schule, die sich Paul Ricoeur und David Tracy auf die Fahnen geschrieben hat. [17] Ich nannte Ricoeur weiter oben bereits als einen von McFagues Lehrern.

Der zentrale Unterschied zwischen beiden Schulen ist die Bewertung der Aufklärung und vor allem des menschlichen Subjekts im Hinblick auf die in der jeweiligen Schule als “biblische Tradition” bezeichneten Inhalte. Wo Ricoeur und Tracy für die explizite Wertschätzung sich verändernder Verständniskontexte plädieren, befürchtet die Yale-Schule vor allem die Eintragung bibelfremder Elemente – beispielsweise menschlicher Erfahrungen oder allgemeiner anthropologischer Prämissen. [18] Nach Meinung der Yale-Schule begeht eigentlich jede andere Form von Theologie als die von ihr selbst vertretene Verrat an der Normativität der Bibel und damit an der Offenbarung Gottes selbst.

Angesichts dieser Sachlage scheint es zweifelhaft, ob McFague und Green jemals in ein wirkliches Gespräch werden eintreten können. [19] Hier handelt es sich nun einmal um grundlegend verschiedene Vorstellungen von Bedeutung und Ziel der Theologie. Ist Theologie in erster Linie Wiedergabe biblischer Zeugnisse? Oder haben TheologInnen die Aufgabe, in stets neuen Kontexten zu formulieren, was “Gott” eigentlich ist?

Der erste Standpunkt hat zur Folge, dass schlussendlich nicht der Mensch, sondern Gott selbst als Subjekt der Theologie zu gelten hat. [20] Diejenigen aber, die sich für die zweite Option entscheiden – und zu dieser Gruppe gehören auf jeweils eigene Weise auch feministische TheologInnen – können und wollen nicht vor die umstrittene Wertschätzung des menschlichen Subjekts zurück, auch nicht in der Theologie. So scheinen sich an diesem Punkt die Wege voneinander zu scheiden. [21] Aber wenn ich es hierbei beließe, würde ich es mir selbst und anderen zu einfach machen. Ich will darum noch einen Schritt weitergehen und die Norm der Yale-Schule – und damit einer Ausformung “klassischer” Theologie von zentraler Bedeutung – zur Diskussion stellen. Und hierzu werde ich mich auf das Bilderverbot berufen.

Wie ich bereits weiter oben erwähnte, benutzt Green “Imagination” im Wortsinn der “Verbildlichung” als Instrument der Theologie. De facto betrachtet er Sprachbilder aber nur als Kanal, durch den Gottes Offenbarung in unsere Welt hineinbefördert wird. [22] Auf seiner Website, auf der er für eine eigene Lehrveranstaltung zu religiöser Imagination wirbt, heißt es folglich: “Imagination: Quelle der Illusion...oder göttlicher Offenbarung?” [23]

In dieser Formulierung und kombiniert mit der Behauptung, man selber lasse sich selbstverständlich nicht durch Illusionen ins Bockshorn jagen, scheint hier das Bewusstsein für die dem Bilderverbote inhärente Spannung zu fehlen. Aber gerade diese Spannung ist es, die es uns m.E. unmöglich macht, so scharf zwischen Wahrheit und Illusion zu unterscheiden, wie Green das zu können behauptet. Auch wenn es um die Bibel oder um Offenbarung geht, auch wenn man steif und fest behauptet, daß Gott selbst das eigentliche Subjekt der Theologie sei - gerade dann bleibt doch der Mensch das interpretierende und imaginierende Subjekt.

Dass diese Einsicht durch die mögliche Aussagekraft verschiedener Gottesbilder nicht gemindert wird, möge der nun folgende Gedankengang erhellen, in dem es um die biblischen Grundlagen des Bilderverbots geht. Hiermit betreten wir ein neues Gebiet – ein anderes Sprachfeld und eine andere Problemstellung.

Wort und Bild

Auf der Grundlage biblischer Theologie wurde in der systematischen Theologie die Überzeugung formuliert, dass der Gott Israels sich menschlicher Vorstellung und folglich menschlicher Manipulation entzöge, und sich lediglich – als völlig freier, souveräner Gott – auf die von ihm selbst gewählte Weise und allein durch das Wort offenbare. Bilder gehören zur Sphäre der vielen Götter, zu den von Menschenhand geschaffenen Götzen. Dagegen sei es das Wort, das freie, nicht manipulierbare Wort, das ursächlich zum Gott Israels gehöre. [24]

In dem jetzt folgenden Teil möchte ich diese gängige Überzeugung näher untersuchen, indem ich mich auf die schwer fassbare Unterscheidung zwischen Gottes Wort und menschliche Sprachbilder konzentriere. Ich möchte versuchen, einen neuen Zugang zur eigentlichen Bedeutung des Bilderverbots und seinem möglichen Entstehungskontext zu finden.

Wie bei beinahe allen theologischen Grundsatzfragen besteht auch in Bezug auf Bedeutung und Hintergrund des biblischen Bilderverbotes Dissens. [25] Zwar hat sich in den letzten Jahren der Akzent in der jeweiligen Interpretation des Bilderverbots deutlich verlagert. So wurde beispielsweise die These, dass Israel als Nomadenvolk per se von Anfang an eine bildlose Kultur gewesen sei, von den meisten WissenschaftlerInnen mittlerweile ad acta gelegt. [26] Es besteht ein gewisser Konsens, dass die in die vorexilische Zeit datierten altestamentlichen Texte kein Bilderverbot kennen. [27] Das bedeutet allerdings nicht, dass sich hierfür keine Vorgeschichte erheben ließe, sondern legt ganz im Gegenteil nahe, eine komplexe Entwicklung mit divergenten Aspekten zu vermuten. [28] Ich konzentriere mich im folgenden auf den allgemein akzeptierten Unterschied zwischen einem explizit formulierten Bilderverbot, wie es sich etwa im Deuteronomium findet, und der in den älteren prophetischen Texten enthaltenen Bilderkritik. Diese präzise Unterscheidung ist notwendig, um sachlich richtig erheben zu können, worum es hier eigentlich geht.

Die Bilderkritik, die beispielsweise bei Hosea oder Ezechiel formuliert wird, ist de facto Kritik an der Verehrung anderer Götter als JHWH. Die “Bilder” stehen hier stellvertretend für diese anderen Götter, folglich stand die Kritik an diesen Bildern als Chiffre für JHWHs Ausschließlichkeitsanspruch. Die prophetische Bilderkritik schließt also die Existenz eines JHWH selbst darstellenden Kultbildes nicht unbedingt aus.

Eine historische Weiterentwicklung dieses Themas lässt sich an den beiden Formulierungen des Dekalogs ablesen: Das Verbot, von irgendeinem Ding ein Bildnis zu machen (Dtn 5,8 und Ex 20,4), wurde in ein älteres Verbot eingefügt, in dem lediglich die Verehrung anderer Götter untersagt wird. [29] Vergleichbares lässt sich bei den Formulierungen expliziter Bilderverbote erheben: Die deuteronomistischen TheologInnen entwickeln eine Theologie des Bilderverbotes, mit der sie sich gegen jedes mögliche Bild von JHWH selbst zu wehren trachten. Allerdings sind sogar in Dtn 4,15-19, demjenigen Bibeltext, der gemeinhin als zentrale Formulierung und Grundlage des Bilderverbots gilt, noch verschiedene Traditionslinien sichtbar: Einerseits wird das Bilderverbot ausdrücklich in Beziehung zum Götzendienst gesetzt. Man darf von keinem einzigen Ding ein Bild machen. Andererseits wird dies mit dem Gedanken begründet, dass Gott sich nicht in einer für Menschen sichtbaren Gestalt gezeigt habe, als er auf dem Horeb zu seinem Volk gesprochen habe. Hier ist das Bilderverbot also von einem Instrument der JHWH-allein-Verehrung zu einem eigenen Theologumenon geworden. Damit wird deutlich, dass das Bilderverbot ursprünglich wirklich nur ein Kultbildverbot im Kontext von Fremdgötterverehrung war. Erst in Dtn 4 werden Bild und Wort einander gegenübergestellt und damit die theologische Richtung vorgegeben, in deren Verlängerung das Bilderverbot später immer mehr auf die Frage von Denkbildern zugespitzt wurde. [30]

Im Kontext des babylonischen Exils gesellt sich hierzu noch eine weitere Variante des Bilderverbots, in der das Verspotten von Götterbildern einen einsamen Höhepunkt erreicht. [31] So spottet die Stimme Deuterojesajas über die Verehrung babylonischer Götter: Sind eure Götterbilder denn nicht aus demselben Holz geschnitzt, mit dem die Zimmerleute auch Feuer machen, um Brot zu backen, Fleisch zu braten und sich die Hände zu wärmen? [32] Diese Texte sind als Appell an die judäischen ExilantInnen zu verstehen, die ermahnt werden, auch in der Fremde nur auf ihren eigenen Gott zu bauen. [33] Auch hier kann also als Kontext der Bilderkritik der Ausschließlichkeitsanspruch des Gottes Israels ausgemacht werden. Mark Smith bemerkt zu dieser Stelle: Auf diese Weise seien das Wort, seien die Texte, die für die judäischen ExilantInnen die Verbindung zu ihrem Herkunftsland hergestellt hätten, zum idealen Werkzeug geworden, um das Besondere dieses einen Gottes zu bezeichnen. [34]

In der auf der Grundlage dieser Texte formulierten Theologie wurden die verschiedenen Traditionslinien in eins gesetzt und führten im Gefolge zu der bereits genannten Überzeugung, dass der eine, transzendente, souveräne Gott sich jeglicher menschlicher Manipulation entzöge. So erklärt sich, dass die Geschichte des Bilderverbots durch den scharfen Gegensatz zwischen Wort und Bild gekennzeichnet wird. Der Begriff “Bildersturm” ist vollkommen hinreichend, um die Tragweite dieses Gegensatzes für die spätere Geschichte anzudeuten. Für mich selbst geht es hier um den roten Faden, der von hier aus zu meinem eigentlichen Thema verläuft, nämlich zur möglichen Bedeutung des Bilderverbots. Welches Licht werfen die Ergebnisse aktueller alttestamentlicher Forschung auf die hier zugrundeliegende Frage?

Grundsätzlich sind zwei verschiedene Aspekte zu unterscheiden: 1) die Differenz zwischen Gott und den Göttern und 2) der Unterschied zwischen Wort und Bild. Dem ersten Aspekt sind die Kritik an der Verehrung falscher Götter und die spöttische Polemik gegen die von Menschenhand gemachten Götterbilder zuzurechnen. Die Götter und ihre Bilder kommen dann auf der Seite möglicher Manipulation und der Projektion menschlicher Wünsche zu stehen. Der zweite Aspekt – der Unterschied zwischen Wort und Bild – hat zur Folge, dass das Phänomen der Nicht-Darstellbarkeit des Gottes Israels mit dem Besonderem des duch-das-Wort-allein verbunden wird. Das Wort wird dabei als ein Element vorgestellt, das sich weniger als das Bild zum Manipulationsobjekt eigne.

Nun ist es wichtig, diese beiden Aspekte sowohl zusammenzusehen wie sie voneinander zu unterscheiden. Wenn wir sie zusammensehen, erkennen wir, dass die Götzenpolemik die Konstruktion des Wort-Bild- Gegensatzes entscheidend mitprägte. Die beiden Pole des Gegensatzpaars stehen dann für eine Zuordnung zur göttlichen bzw. zur menschlichen Sphäre. Aber was passiert, wenn wir diese beiden Aspekte auseinander dividieren? Dann entsteht Raum, um den eigentlichen Gegensatz einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, das heißt: rein phänomenologisch, ohne die der Polemik inhärente Wertung. Stimmt es denn, dass Bilder per Definition manipulierbar und Folge menschlichen Wunschdenkens seien, und dass das Wort hierin weit über ihnen stehe? Verhält es sich denn nicht vielmehr so, dass jegliche menschliche Ausdrucksmöglichkeit, die mit der Welt Gottes oder des Göttlichen in Verbindung gesehen oder gebracht wird, quasi automatisch als über einer gewöhnlichen menschlichen Äußerung stehend gewichtet wird? In dieser Sache kann man sicher viel von ReligionshistorikerInnen lernen, die beispielsweise die Bedeutung von Bildern in verschiedenen mesopotamischen Kulten untersucht haben. Demnach scheint es beispielsweise keinen Beleg für die weitverbereitete Annahme zu geben, dass die Herstellung von Götterbildern den Gedanken versinnbildliche, dass das ganze Alltagsleben, die Wirklichkeit von Göttlichem durchwirkt werde. [35] Im Gegenteil, die ExepertInnen weisen auf den bleibenden Unterschied zwischen Göttern und Bildern, auf einen Unterschied, für den sie sogar den Begriff Transzendenz benutzen. [36] Zum Beleg können sie auf die speziellen Riten verweisen, die ausgeführt werden mussten, um die Götterbilder überhaupt erst kultisch einsatzfähig zu machen. [37] Im weiteren Verlauf scheinen hier wohlgemerkt dieselben Elemente eine Rolle zu spielen wie in den zahlreichen Versuchen in der Geschichte christlicher Theologie, Gottes Realpräsenz in Wort und Sakrament auszudrücken. Die zugespitzteste Formulierung hierfür fand ich in der Feststellung Thorkild Jacobsens: “Der Gott ist das Bild und ist es nicht”. [38] Wo nur haben wir das vorher schon gehört?! Nun verweist Jacobsen für diesen Ausdruck auf die antike Erfahrungswelt und nicht auf Ricoeurs Metaferntheorie:Ich denke allerdings, hier lässt sich mit Grund eine in phänomenologischer Hinsicht vergleichbare Spannung feststellen. Steht nicht genau diese Doppeldeutigkeit für die Spannung im Hinblick auf jegliche menschliche Ausdrucksmöglichkeit für “Gott”? Hier geht es immer um “ist” und “ist nicht”. Auch das, was als über einer bloß menschlichen Äußerung stehend eingeschätzt wird, bleibt immer auch eine menschliche Äußerung. Das gilt für Bilder; und das gilt auch für Worte.

Ich komme jetzt auf den Schluss des letzten Abschnitts zurück. Dort merkte ich an, dass auch für Garrett Green Gottes Offenbarung und das Betreiben von Theologie mit Hilfe von Imagination verdächtig nah beieinander lägen. Auch wenn niemand aus der Barth-Schule diese beiden Begriffe jemals als deckungsgleich ansehen wird: Gibt es eine Garantie, dass das nicht doch passiert?

An diesem Punkt möchte ich noch einen weiteren Schritt anschließen, und zwar in Bezug auf den Inhalt der aus dem Bilderverbot heraus entwickelten Norm. Ich verwies in meiner Einleitung – im Gefolge von Mary Douglas – auf die wechselseitige Beziehung von Ordnung und Ausschluss. In diesen Gleisen denkend hat die christliche Tradition das Bilderverbot eingesetzt, um bestimmte Elemente aus der Rede von Gott herauszuhalten. Mittlerweile können wir auch noch das Phänomen der Polemik ergänzen. Wie verhält sich die Form der Polemik zum abgewiesenen Inhalt? Ich formuliere diesen letzten Teil unter der Überschrift: Das Bilderverbot aus Gender-Perspektive. Hierin betrachte ich, welche Rolle die Geschlechterdifferenz – und vor allem deren Bewertung – im Prozess von Ordnung und Ausschluss gespielt hat. Vielleicht müssen wir das Bilderverbot zur Hilfe rufen, um hartnäckige Denkbilder zu durchbrechen.

Das Bilderverbot aus Gender-Perspektive

Wer sind eigentlich die Götter, deren Verehrung durch Bilderkritik und Bilderverbot angegriffen werden? Lange Zeit war es Forschungskonsens, dass die ganze kanaanäische Religion sich auf einen Nenner bringen ließ: Fruchtbarkeitskult. Als Nebenprodukte dieser Religion galten die Große Muttergöttin, mythische Götterehen und Tempelprostitution. [39] Vor allem die weiblichen Götter Kanaans – Anat, Astarte und Aschera – wurden als prototypische Fruchtbarkeitsgöttinnen gesehen. Vor diesem Hintergrund nun, so nahm man an, habe sich die Religion Israels konstituiert, hiervon habe sie sich abgesetzt. Diese Denkrichtung hat in bestimmten Formen der Theologie weite Verbreitung erreicht. Von Anfang an gab es hierbei eine auffallende Wechselwirkung zwischen systematischer und biblischer Theologie. [40] Von unübersehbarem Einfluss war vor allem Karl Barths dialektische Theologie. Aus dem Kontext der Entstehungszeit der barthianischen Theologie – dem Beginn der Nazizeit in Deutschland – lässt sich der Grund erheben, warum Barth diesen Gegensatz in aller Deutlichkeit betonen wollte. Durch den deutschen Alttestamentler Gerhard von Rad wanderte derselbe Gedanke auf einem anderen Weg – und anders unterfüttert – in zahlreiche systematisch-theologische Handbücher hinein. [41] Hier wurde der Gedanke ausgearbeitet, dass die Verehrung der Fruchtbarkeit an den unerbittlichen Zyklus der Natur gekoppelt gewesen sei; dies nun sei durch Israels eigenen Gott durchbrochen worden, der sich in der Geschichte offenbart habe. [42]

Es scheint also angeraten, erneut nach dem Hintergrund dieses Blickwinkels zu fragen. Dazu müssen zwei Aspekte unterschieden werden: Die Texte des Alten Testaments und die vergleichende Forschung zur Religion Israels. Was die Texte des Alten Testaments betrifft, so wurden – nachdem ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Entstehungsgeschichte dieser Texte erhellt werden konnte – qua theologischer Bedeutung vor allem die Aussagen späterer Textschichten zu erheben versucht. Denn spätere Redaktionen hatten, so entdeckte man, frühere Texte aus ihrem Blickwinkel heraus überarbeitet. Und indem man von einer mittels des alttestamentlichen Kanons festgelegten Einheit ausging, lag es nahe, die Theologie aus dem Blickwinkel dieser hypothetischen Endredaktion abzuleiten – zugeschrieben wurde diese dem im Zusammenhang mit dem Bilderverbot bereits erwähnten sogenannten “Deuteronomisten”. Dessen Blickwinkel war, wie bereits erwähnt, sowohl kritischer wie polemischer Natur. Folglich sind Texte aus dieser Richtung nicht die empfehlenswerteste Quelle, um den kulturellen Hintergrund zu verstehen, vor dem sich die Religion Israels historisch vermutlich entfaltet hat. Trotzdem blieb es lange Zeit üblich, beide Aspekte dicht beieinander zu halten. So leitet Gerhard von Rad einen Abschnitt über die Geschichte des Gottesglaubens im antiken Israel mit folgenden Worten ein: “Die direkten Quellen für die Religions- und Kulturgeschichte des alten Israel liegen ausschließlich im Alten Testament”. [43] Von Rad konzentriert sich völlig auf die Beschreibung des Besonderen der Gottesverehrung Israels und zieht aus den alttestamentlichen Texten zahlreiche Schlüsse auf die “Israel umringende Kultur”, natürlich in Richtung eines hypothetischen Fruchtbarkeitskultes. [44] Heutige ReligionshistorikerInnen betrachten diese Haltung allerdings als überholt. [45] Indem sie sich auf andere als altestamentliche Quellen berufen, können sie uns mit der komplizierten kanaanäischen Götterwelt bekannt machen, die nach heutigem Forschungsstand integraler Bestandteil der Entwicklungsgeschichte der israelitischen Religion waren. Vor allem die Lektüre von Texten aus der antiken Stadt Ugarit hat viel zur Kenntnis der antiken kanaanäischen Götterwelt beigesteuert. [46] In dieser Götterwelt spielte Fruchtbarkeit sicher eine gewisse Rolle, aber keine wesentlich andere, als sie Fruchtbarkeit in all ihren Aspekten in zahlreichen anderen Religionen auch spielt. So hatten verschiedene Götter – männliche wie weibliche – im Hinblick auf Fruchtbarkeit eine bestimmte Funktion. Und für die weiblichen Götter kann sicher gesagt werden, dass sie nicht nur für den Bereich Fruchtbarkeit zuständig waren. [47] Ich möchte hierzu noch hinzufügen: Genauso wenig wie reale Frauen hauptsächlich durch ihre Körperfunktionen bestimmt werden. Nun geht es mir nicht um die mögliche Bedeutung von Göttinnen, weder in religionshistorischer noch in theologischer Hinsicht. Es geht mir um das, was offensichtlich ausgeschlossen werden musste, als die prophetische Tradition das Bilderverbot formulierte. Mein Ziel ist es, den Begriff “Fruchtbarkeit” von den ihn belastenden Gender-Konstruktionen zu befreien und auf normale Proportionen zurückzufahren, so dass das Gespräch über das Bilderverbot hierdurch nicht unnötig blockiert wird.
Ein erster Schritt hierzu könnte die Erkenntnis sein, dass Fruchtbarkeit ein vielförmiges und vielfarbiges Phänomen ist. Im religiösen Rahmen fällt darunter: die Gabe der Erstlinge von Feld und Herde; das Opfer des Erstgeborenen; Zeugung, Schwangerschaft und Geburt; Kinderlosigkeit; Gelübde zur Erlangung von Nachkommenschaft; das Wetter und die Jahreszeiten; das Motiv des Guten Hirten; die Baumsymbolik; die Segenstheologie… [48] Diese Liste könnte problemlos fortgesetzt werden.

Nun haben mittlerweile viele dieser Aspekte den ihnen zustehenden Platz in biblischer wie systematischer Theologie eingenommen. Sie mussten dazu allerdings “geläutert” und das heißt historisiert werden, nämlich unter Gottes Handeln in der Geschichte subsummiert werden. Dann aber baut diese Form der Theologie weiterhin auf ein antithetisches Denken, das selbst wiederum in einer Verbindung zwischen Frauen und dem stark negativ konnotierten Begriff Fruchtbarkeit aufbaut. In der konsequenten Weiterführung dieses Denkens bleibt einem dann gar nichts anderes übrig, als das Einbringen weiblicher Gottesbilder in die Theologie rundweg abzulehnen. Der transzendente, nicht-abbildbare, über der Sphäre des Geschlechtlichen stehende Gott kann schlussendlich, so heißt es dann, nur mit männlichen Konnotationen vorgestellt werden. Das Nachvollziehen dieser Gender-Konstruktionen könnte ein logisch nächster Erkenntnisschritt sein – diese Erkenntnis nimmt einem die Möglichkeit, eine Berufung auf das Bilderverbot weiterhin mit dem früher einmal festgesetzten Unterschied zwischen “Schmutzigem” und “Reinem” zu kombinieren. So kann vermieden werden, dass das Bilderverbot immer nach einer der beiden Richtungen hin ausgezogen wird: Hier das “ist”, dort das “ist nicht”; hier Offenbarung, dort Projektion; hier das freie Wort, dort das der Natur verhaftete, manipulierbare Bild. Erst so kehrt das Bilderverbot in das Spannungsfeld zurück, in das es eigentlich hineingehört: Gleichzeitig in das “ist” und das “ist nicht”.

Ich habe zum Schluss noch einen letzten Trumpf im Ärmel – den Splitter eines zerschlagenen Bildes als Symbol all desjenigen, was ausgeschlossen wurde. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts gefundene Inschriften aus dem antiken Israel könnten darauf verweisen, dass die Göttin Aschera – deren Symbole größtenteils zerstört wurden – früher einmal an bestimmten Orten als Partnerin JHWHs galt. Man hat eine Inschrift entziffert, aus der sich schließen lässt, das man einstmals “durch JHWH und seine Aschera” segnen konnte. [49] Dieser Inschriftenfund passt zu dem Bild, dass sich aus den Ugarit-Texten erheben lässt: Eine vielschichtige Götterwelt, in der die Partnerin des einen Gottes auch zur Partnerin eines anderen Gottes werden konnte. Dieser Fund passt nicht zum Bild eines Gottes, dessen Identität per se jegliche Verbindung mit einem weiblichen Pendant ausschlösse [50] bzw. sogar ausschließen muss. [51] Dieser Fund passt allerdings sehr wohl zum grundsätzlichen Sinn des Bilderverbots: Schlussendlich ist Gott doch ganz anders, als wir immer dachten. [52]


 

[1] Karl Barth, ‘Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie’, in: ders., Das Wort Gottes und die Theologie, München 1924, 156-178, hier: 158.

[2] Vgl. z.B.Mary Daly, Beyond God the Father. Toward a Philosophy of Women’s Liberation, Boston 1973.

[3] Für diesen Vorwurf wird auf Ludwig Feuerbach verwiesen. Allerdings ist das sachlich wenig stichhaltig. In seinem 1848 erschienenen Werk Das Wesen des Christentums leitete Feuerbach jegliche Theologie aus der Anthropologie ab und erklärte den Glauben an einen Gott zur Projektion. Vgl. z.B. Garrett Green, ‘The Gender of God and the Theology of Metaphor’, in Alvin F. Kimel (Hg), Speaking the Christian God. The Holy Trinity and the Challenge of Feminism, Grand Rapids 1992, 44-64, hier 47. Bereits in der Antike, beispielsweise im Alten Testament (“Deutero-Jesaja”) und bei griechischen Autoren wie Xenophanes (circa 565-470 v.Chr.) lässt sich diese Art Kritik an einer bestimmten Art der Götterverehrung finden.

[4] Laurel C. Schneider, Re-Imagining the Divine. Confronting the Backlash against Feminist Theology, Cleveland/ Ohio 1998.

[5] Mary Douglas, Purity and Danger. An Analysis of the Concepts of Pollution and Taboo, London and New York 1966, 36. Vgl. Schneider, Re-Imagining the Divine, 43-46.

[6] Schneider, Re-Imagining the Divine, 44ff.

[7] Vgl. Silvia Schroer, ‘“Du sollst dir kein Bildnis machen” … oder: Welche Bilder verbietet das Bilderverbot?’, in Gabrielle Miller & Franz W. Miehl (Hg), Von Bathseba und anderen Geschichten. Biblische Texte spannend ausgelegt, München 1996, 29-44.

[8] Gleichzeitig erschienen in: Grand Rapids/ Michigan und Cambridge/ UK 1989.

[9] Vgl. u.a. Speaking in Parables. A Study in Metaphor and Theology, Philadelphia 1975; Metaphorical Theology. Models of God in Religious Language, Philadelphia 1982; Models of God. Theology for an Ecological, Nuclear Age, Philadelphia 1987.

[10] Vgl. z.B. Gordon D. Kaufman, The Theological Imagination. Constructing the Concept of God, Philadelphia 1981; derselbe, An Essay on Theological Method, Atlanta 19953; Denise L. Carmody, Christian Feminist Theology. A Constructive Interpretation, Oxford/ UK und Cambridge/ Massachusetts 1995.

[11] Vgl. v.a.: McFague, Speaking in Parables und Metaphorical Theology (Anm. 9); zu Ricoeur: Paul Ricoeur, The Rule of Metaphor. Multidisciplinary Studies of the Creation of Meaning in Language, London/ UK 1978 (Übersetzung von La métaphore vive, Paris 1975). Vgl. Kune Biezeveld, Spreken over God als vader. Hoe kan het anders? Baarn 1996, besonders 157-241.

[12] Ricoeur, ‘Metaphor and Reference’, in The Rule of Metaphor, 216-256, besonders 224 und 248.

[13] McFague (Metaphorical Theology, 13f., Anm. 9) verweist hierbei auf das “protestantische Prinzip”, wie es vor allem von Paul Tillich repräsentiert werde; Schneider (Re-Imagining the Divine, 55-79) spricht im selben Zusammnehang von der “metaforischen Ausnahme” und verweist zum Beleg – außer auf Tillich – auch auf Karl Barth.

[14] Catherine Mowry LaCugna, ‘Review of Speaking the Christian God: The Holy Trinity and the Challenge of Feminism’, Pro Ecclesia 3 (1994) 114-116.

[15] Alvin F. Kimel Jr., ‘It Could Have Been …’, Pro Ecclesia 3 (1994) 389-394. Vgl. zu einer Reaktion auf diese Diskussion: George A. Lindbeck, ‘Reflections on Trinitarian Language’, Pro Ecclesia 4 (1995) 261-264.

[16] Garrett Green, ‘The Gender of God and the Theology of Metaphor’ (Anm. 3).

[17] Vgl. Hans W. Frei, Types of Christian Theology, G. Hunsinger & W. C. Placher (Hg.), New Haven und London/ UK 1992, besonders 28-55. Vgl. Hans van Loon, ‘Hans W. Frei: eine andere Sicht auf Hermeneutik’, in Zeitschrift für Dialektische Theologie 26, 13 (1997) 2, 138-169.

[18] Frei plädierte in The Eclipse of Biblical Narrative. A Study in Eighteenth and Nineteenth Century Hermeneutics (New Haven and London/ UK 1974) für eine Rückkehr zum reformatorischen Schriftverständnis, also in die Zeit vor der Aufklärung. Nicht unsere eigenen menschlichen Verständniskategorien sollten richtungweisend sein; vielmehr müssten wir uns umgekehrt unsere Sicht der Wirklichkeit durch die Bibel vorgeben lassen, so Frei.

[19] Ich denke, dass Green McFague mit seinen Argumenten nicht gerecht wird. McFague redet nicht einer allegmeinen Austauschbarkeit von Metaphern das Wort, sondern meint – im Gefolge von Ricoeur u.a. – dass die angestrebte Aussagestärke neue Metafern manchmal geradezu erzwinge. Außerdem betreibt McFague entgegen Greens gleichlautendem Vorwurf keine einfache Projektionstheologie. Sie will mit Ricoeurs Metapherntheorie an der – m.E. unvermeidlichen – Spannung zwischen Projektion und Offenbarung festhalten. Vgl. hierzu Biezeveld, Spreken over God als vader, 268.

[20] Barth, ‘Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie’ (Anm. 1). Barth verweist zwar auf die Dialektik zwischen jeglicher menschlicher Rede von Gott und Gottes Rede selbst, bestimmend bliebt für ihn aber Gottes Offenbarung.

[21] In diesem Sinn: Kathryn Greene-McCreight, Feminist Reconstructions of Christian Doctrine. Narrative Analysis and Appraisal, Oxford/ UK 2000.

[22] Garrett Green, Imagining God. Theology and the Religious Imagination, Grand Rapids/ Michigan and Cambidge/ U.K., 40 (Anm 8). Vgl. Desiree Berendsen, Waarom geloven mensen? De antropologische basis van geloof volgens Karl Rahner, Gerhard Oberhammer, David Tracy, John Hick, Garret Green en George Lindbeck, Kampen 2001, 122-136.

[23] Quelle: http://www.conncoll.edu/academics/departments/relstudies/newcourses/REL494T_Poster.htm.

[24] Vgl. z.B. H. Berkhof, Christelijk geloof. Een inleiding tot de geloofsleer, Nijkerk 19855, 72.

[25] Zie Christoph Dohmen, Das Bilderverbot. Seine Entstehung und seine Entwicklung im Alten Testament, Bonn 1985, besonders 236-277.

[26] Angelika Berlejung, ‘Ikonophobie oder Ikonolatrie. Zur Auseinandersetzung um die Bilder im Alten Testament, in Religionsgeschichte Israels. Formale und materiale Aspekte, Gütersloh 1999, 208-241, hier: 209; vgl. für verschiedene Positionen in dieser Sache: dieselbe, Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik, Freiburg/ CH und Göttingen 1998, hier: 12, Anmerkung 73.

[27] Christoph Uehlinger, ‘Bilderverbot’, in RGG, Tübingen 19984, 1574-1577, 1576.

[28] Trotzdem gehen einige weiterhin von älteren Vorläufern des späteren Bilderverbots aus. Vgl. z.B. Tryggve N.D. Mettinger, No Graven Image? Israelite Aniconism in Its Near Eastern Context, Stockhom 1995; derselbe, ‘Israelite Aniconism: Developments and Origins’, in Karel van der Toorn (Hg.), The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Leuven 1997, 173-204. Andere verweisen gerade auf die zahlreichen Bilder aus dem Kontext des JHWH-Kultes, vgl. z.B. Silvia Schroer, In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament, Freiburg/ CH und Göttingen 1987; Othmar Keel & Christoph Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg/ CH und Göttingen 1992.

[29] Mettinger, ‘Israelite Aniconism’, 175-177.

[30] Vgl. Uehlinger, ‘Bilderverbot’, 1575f.

[31] Jesaja 40-55.

[32] Vgl. Jesaja 44: 13-18.

[33] Mark S. Smith, The Origins of Biblical Monotheism. Israel’s Polytheistic Background and the Ugaritic Texts, Oxford/ UK 2001, 179-194.

[34] Smith, The Origins of Biblical Monotheism, 194.

[35] Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testamentes. Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München 1960, Band I, 227; Band II, 360. Vgl. H.W. de Knijff, Venus aan de leiband. Europa’s erotische cultuur en christelijke sexuele ethiek, Kampen 1987, 74.

[36] Thorkild Jacobsen, ‘No Graven Image’, in Patrick D. Miller, P.D. Hanson & S.D. McBride (Hg.), Ancient Israelite Religion. Essays in Honor of Frank Moore Cross, Philadelphia 1987, 15-32, hier 22.

[37] Berlejung beschreibt in ‘Ikonophobie oder Ikonolatrie’ die Riten, die in der assyrischen und babylonischen Kultur vollzogen wurden, um die von handwerkern geschaffenen Bilder zu tatsächlichen Repräsentanten der Götter zu machen. Vgl. auch dieselbe, ‘Washing the Mouth: The Consecration of Divine Images in Mesopotamia’, in Karel van der Toorn (Hg.), The Image and the Book (Anm. 28), 45-72.

[38] Jacobsen, ‘No Graven Image’, 18 (kursiv: Jacobsen).

[39] Vgl. z.B. Von Rad, Theologie des Alten Testamentes, besonders I, 35-43; 221-223. Vgl. De Knijff, Venus aan de leiband, 63-91.

[40] Karl Barth und die dialektische Theologie haben das Fundament für die Arbeit deutscher Exegeten Albrecht Alt, Martin Noth und Gerhard von Rad gelegt, ferner für die us-amerikanische Schule von William F. Albright und dessen Schülern G.Ernest Wright und John Bright. Vgl. Leo G. Perdue, The Collapse of History. Reconstructing Old Testament Theology, Minneapolis 1994, 3-68.

[41] Vgl. z.B. Berkhof, Christelijk geloof. Zwischen Berkhofs und G. Ernest Wrights Denken lässt sich eine inhaltliche Nähe aufzeigen; zu Wright: God Who Acts. Biblical Theology as Recital, London 1950, und derselbe,The Old Testament against its Environment, Chicago/ Illinois 1950.

[42] Z.B.: Berkhof, Christelijk geloof, 65: “Im Alten Testamenst sehen wir, wie sich die Offenbarung in der Geschichte von ihrem Mutterschoß befreit, nämlich der Offenbarung in der Natur, von der die antiken Religionen sonst lebten.”

[43] Von Rad, Theologie des Alten Testamentes I, 17.

[44] Z.B. Von Rad, Theologie des Alten Testamentes II, 357ff.: “Das Alttestamentliche Verständnis von der Welt und vom Menschen und der Christusglaube“ Vgl. auch I, 35.

[45] Vgl. z.B. Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit I, Göttingen 1992, 134f. Vgl. Jo Ann Hacket: “Wir haben faktisch keinerlei Hinweise, dass es im antiken Vorderen Orient jemals ‘Fruchtbarkeitsgöttinnen’ oder ‘Fruchtbarkeitskulte’ gab, wie sie in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben werden. (‘Can a Sexist Model Liberate Us? Ancient Near Eastern “Fertility Goddesses’, in Journal of Feminist Studies in Religion 5 (1989) 1, 65-76, 68; Kursiv: JAH.).

[46] Vgl. z.B. Mark S. Smith, The Early History of God. Yahweh and the Other Deities in Ancient Israël, San Francisco 1990; derselbe, The Origins of Biblical Monotheism (Anm. 32); Patrick D. Miller, ‘Aspects of the Religion of Ugarit’, in Ancient Israelite Religion (Anm. 35), 53-66; auch aufgenommen in Patrick D. Miller, Israelite Religion and Biblical Theology. Collected Essays, Sheffield 2000, 69-83.

[47] Vgl. hierfür z.B. Christian Frevel, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs. Beiträge zu literarischen, religionsgeschichtlichen und ikonographischen Aspekten der Ascheradiskussion, Band I & II, Weinheim 1995.

[48] Frevel, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs, II, 563.

[49] Aus der uferlosen Literatur nenne ich: Wolfgang Dietrich & Martin A. Klopfenstein (Hg.), Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte, Freiburg/ CH 1994; Bob Becking u.a. (Hg.), Only One God? Monotheism in Ancient Israel and the Veneration of the Goddess Asherah, London/ UK – New York 2001.

[50] Vgl. Wilhelm Eichrodt: “Beachtenswert ist dabei, dass auch jede Zerspaltung in ein männliches und ein weibliches Prinzip ausgeschlossen bleibt. Jahve hat nie eine weibliche Throngenossin besessen und damit eine Ergänzung, die alle semitischen Hauptgötter erfahren haben, von sich abgewehrt.” In derselbe: Theologie des Alten Testaments, Göttingen 19688, I, 143.

[51] Indem er auf die Inschriften und ihre wahrscheinliche Bedeutung verweist, meint James Barr: “There may have been a period, or a stratum, in which the God of Israel was understood to have a female consort. If so, there may well have been a very considerable reorientation of the religion in which this bipartite relation within deity was attacked and eliminated. … [I]t could be that a struggle against sexuality of this kind was the core of the establishment of monotheism, in other words, in some important stage, it was thought more important and more immediate to have no female goddess than it was to have one single deity.” In derselbe: The Concept of Biblical Theology. An Old Testament Perspective, London 1999, 138; vgl. auch: Tikva Frymer-Kensky, In the Wake of the Goddesses. Women, Culture, and the Biblical Transformation of Pagan Myth, New York 1992.

[52] Vgl. für die ‘Übersetzung’ der Aschera ins Bilderverbot: Marie-Theres Wacker, ‘Feministisch-theologische Blicke auf die neuere Monotheismus-Diskussion. Anstöße und Fragen’, in dieselbe & Erich Zenger (Hg.), Der eine Gott und die Göttin. Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie, Freiburg/ CH – Basel – Wien 1991, 17-48, 19; vgl. ferner Magdalene Frettlöh, ‘Brauchen oder gebrauchen wir die Göttin? Diskussionsanregung aus feministisch-theologischer Perspektive’, in Dietrich u.a., Ein Gott allein?, 391-399.

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Kune Biezeveld (* 1948),

ist protestantische Theologin, Dozentin für Dogmatik und Professorin für Frauenstudien an der theologischen Fakultät der Universität Leiden. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Neuformulierung christlicher Theologie aus feministischer Perspektive.

Anschrift:
Prof. Kune Biezeveld,
Faculteit der Godgeleerdheid
Postbus 9515
2300 RA Leiden
Niederlande

© Kune Biezeveld, 2003, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317

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