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01-2003

Silvia Schroer Feministische Anthropologie des Ersten Testaments. Beobachtungen, Fragen, Plädoyers

Abstract:

The contribution to our „Forum“ poses some questions regarding a biblical feminist anthropology and brings theses into this discussion. The main question will be under which auspices female work with Hebrew keywords of anthropology (leb, næfæs etc.) can be sensible. After setting the question into the context of the history of theology, Silvia Schroer argues for a better inclusion of textexegetical work into critical feminist research of the history of civilisation. Without the wellfounded knowledge of cultures of the Ancient Near East, e.g. the Egyptian or Near Eastern concepts of the human being in certain times, without the knowledge of certain semantics of iconography, the work with Hebrew vocabulary is indeed irresponsible. However, through an interdisciplinary connection in the proposed way exciting results in regard to gender research can be expected.

Vor wenigen Wochen ist das Buch „Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie“ erschienen, geschrieben von den sozialgeschichtlich orientierten Exegetinnen des Hedwig-Jahnow-Projektes. [1] Einmal mehr erweist sich an dieser Publikation die Reichhaltigkeit und Innovationskraft der feministischen Exegese gerade des deutschsprachigen Raums. Ich möchte im Folgenden das ausserordentlich gehaltvolle und den Fachdiskurs mit vielen neuen Aspekten weiterführende Buch nicht besprechen, sondern angeregt durch diese Publikation einige Gedanken zur biblischen Anthropologie aus feministischer Sicht weiterführen, die ich in früheren Veröffentlichungen angedeutet habe. [2]

Droht das Auseinanderfallen der postmodernen und befreiungstheologischen Körperdiskurse?

Es gibt einen umfassenden postmodernen Diskurs in der Genderwissenschaft über kulturelle Konstruktion und Dekonstruktion von Körpern, [3] und auch in der feministischen Theologie und Exegese boomen Beiträge, die weniger von der Leibhaftigkeit konkreter Menschen sprechen, als vom Körper als Chiffre, als Symbol innerhalb mächtiger Symbolsysteme. Als befreiungstheologisch orientierter Feministin ist mir wichtig, dass wir die konkreten, geschundenen oder lustvoll lebenden Leiber der Menschen, ja die Sakramentalität des Körperlichen nicht aus den Augen verlieren. Feministische Theologie ist Menschen verpflichtet, vor allem Frauen, die an ihren Körpern Gewalt erleiden, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe usw. Unterdrückung und Benachteiligung erleben, die durch Krankheit oder ihr Altwerden an den Rand geschoben werden. In den Körpern manifestiert sich die Anwesenheit oder die diabolische Verwerfung Gottes. [4] Im neuen Wörterbuch der Feministischen Theologie, erschienen im Jahr 2002, finden wir unter dem Stichwort „Körper der Frau/Leiblichkeit“ zwei biblische Artikel, einen über die Geschichte des Christentums, einen mit dem Titel „Als kulturelle Konstruktion“ und einen mit dem Titel „Befreiungstheologisch (Lateinamerika)“. [5] Die Herausgeberinnen des Wörterbuches haben sich entschieden, die getrennt geführten Diskurse über Körper als Kulturkonstrukt und in der feministischen Befreiungstheologie auch getrennt darzustellen. Den Hedwig-Jahnow-Frauen ist es mit ihrer Publikation gelungen, dieses Auseinanderbrechen zu verhindern. Sie fokussieren zwar auf die literarische Darstellung von Körpern, verlieren aber die theologische Verpflichtung gegenüber den konkreten Subjekten nicht aus den Augen. [6] Die Beiträge sind nicht rein deskriptiv, sondern verantworten sich im Sinne einer Theologie, die gesellschaftliche und kirchliche Verhältnisse zu ändern beansprucht, in diesem Sinn also durchaus beanspruchen muss, auch präskriptiv zu sein. Das Erste Testament ist wahrscheinlich besonders geeignet, das Interesse am Körper als Chiffre und das Interesse am leibhaften, erfahrenen Körper zusammenzuhalten. Ein Symbol der unauflösbaren Zusammengehörigkeit dieser Diskurse im Ersten Testament selbst ist Ijob, der mit seinen Freunden über Konditionen des Menschseins streitet, während er zugleich an seinem sozialen Leib geschlagen und bis auf die Knochen geschunden in der Asche sitzt.

Kann eine feministisch-biblische Anthropologie auf der Basis von hebräischen Schlüsselbegriffen aufgebaut werden?

Lassen sich über anthropologische Grundbegriffe des Hebräischen Zugänge zum damaligen Menschenbild oder Selbstverständnis von Menschen finden? Diese keineswegs spezifisch feministische Fragestellung ist für die Arbeit an einer feministisch-biblischen Anthropologie wichtig und ihre Beantwortung eine Voraussetzung für die Beantwortung der Titelfrage dieses Abschnitts. „Grundsätzlich ist anzumerken, dass trotz genauester Analyse einzelner biblisch-hebräischer Substantive und Wendungen diese Methode der Eigenheit der hebräischen Sprache, ihrem Reichtum an verbalen Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber ihren Beschränkungen in Begrifflichkeiten nicht gerecht zu werden scheint.“ formuliert auch Anna Kiesow ihren Vorbehalt. [7] Diese Skepsis ist nicht neu, sie wurde von James Barr schon 1961 ausführlicher dargelegt. [8] In unserem Buch „Die Körpersymbolik der Bibel“ haben Thomas Staubli und ich [9] die Kontroverse referiert und eine differenzierte Position eingenommen, deren Hauptargumente hier knapp resümiert werden sollen.

1. Grundbegriffe der biblischen Anthropologie wie leb und næfæš bieten einen valablen Zugang zum Menschenbild der altisraelitischen Kultur, wenn man nicht der Gefahr verfällt, die sichtbar werdende Gesamtheit als System statt als ein an den Rändern durchaus offenes Gesamtbild innerhalb noch größerer Gesamtbilder anzusehen. Die hebräischen Schriften entstammen nicht alle denselben Jahrhunderten und VerfasserInnengruppen, aber doch einem gemeinsamen Kulturkreis und zwar einem Kulturkreis, der nachweislich sehr große Konstanten über lange Zeiträume aufweist, z.B. in den Themen der Kunst. Niemand würde in Frage stellen, dass es möglich ist, aufgrund der alt- oder mittelhochdeutschen Literatur über das Menschenbild der zugehörigen Epochen Aussagen zu machen. Auch im Lexikon der Ägyptologie [10] finden sich ganz selbstverständlich die Artikel „Anthropologie, religiöse“, „Mensch“, aber auch terminologische Beiträge zum Ka, zum Ba usw. Nur reichen terminologische Zugänge nicht aus. Bei aller Betonung der Akzente und spezifischen Bedeutungsnoten eines Wortes in einem ganz bestimmten Text ist die Erschließung von Grundbedeutungen möglich und richtig. Wenn das Bedeutungsspektrum eines Begriffes wie næfæš bekannt ist, kann eine Art Kernbedeutung eruiert werden, und das wiederum ermöglicht, im Einzelfall eine Akzentuierung oder auch Abweichung festzustellen. Gewiss ist das ein hermeneutischer Zirkel, aber einer, dem wir nicht entrinnen.
Das tiefere Verstehen von Zentralbegriffen einer alten Sprache wird gefördert, manchmal auch korrigiert durch die Kenntnis der Bildsemantik der betreffenden Kultur, da sich in Bildern und Texten dasselbe Denken manifestiert, wenngleich in anderen Akzentuierungen. Es gibt inzwischen außerdem eine Genderarchäologie, die auf ihre Weise das Ziel des „Reading the body“ verfolgt. [11] Auch auf diesem Weg sind Aufschlüsse über die Lebensweisen und das Selbstverständnis von antiken Menschen zu erhalten. Für die vorschriftlichen Kulturen sind materielle Hinterlassenschaften und Bilder sogar die einzigen Zeugen nicht nur von Lebensweisen, sondern auch von Denkweisen, Weltbildern, Religion.

2. Es ist richtig, dass man mit Terminologien allein keine Theologie und schon gar nicht Verkündigung betreiben kann. Sprachen sind logisch, aber sie funktionieren nicht nach einer mathematischen Logik, weshalb statistische Wortuntersuchungen nur einen sehr begrenzten Wert haben. Tatsächlich kann die Bedeutung eines Wortes an zehn Textstellen die Bedeutung bei der elften Stelle nicht sicher festlegen. Wie gefährlich solch ein Vorgehen ist, zeigen beispielsweise die Debatten über die Bedeutung von ’ahab und anderer hebräischer Wörter im Kontext der Saul – David – Jonatan – Beziehungen. Mit reiner Wortstatistik bekämpfen die ideologischen Gegner von biblischen Männerfreundschaften die Möglichkeit, dass ’ahab und andere Begriffe in diesen Texten eine erotische Komponente haben könnte. [12] Da wird die Statistik zur ideologischen Waffe. ’ahab ist aber wie das deutsche Wort »lieben« ein weiter Begriff, der viele Nuancen erlaubt, die vom Kontext gegeben werden. Eine mögliche Akzentuierung ist die erotische. Wenn man mit der überwältigenden Menge von unerotischen ’ahab -Vorkommen im Hebräischen gegen die Erotik der Männerbeziehungen in den Samuelbüchern argumentiert, so ist das methodisch und hermeneutisch sehr fragwürdig. [13]

3. Es geht bei der Kritik am griechisch-abendländischen Denken weder um die Abrechnung mit einer Kultur, die uns schwierige Erbschaften hinterlassen hat, noch um eine neue Variation eines romantischen Orientalismus, sondern um die kritische, auch feministisch-kritische Analyse und Infragestellung eines im Abendland dominierenden Denksystems, das gerade im Hinblick auf die körperliche Dimension des Menschseins sehr problematische Dualismen und Dichotomien geschaffen hat. Homer und Hesiod sind beispielsweise in ihrem Denken noch ausgeprägte Orientalen, und auch das hellenistische Judentum lässt sich nicht einfach der griechischen Tradition zuordnen. Solche historisch wichtigen Differenzierungen bei der Rede von der griechischen Tradition tangieren jedoch die abendländische Rezeptionsgeschichte des griechisch-philosophischen Denkens kaum. Die Vorsokratiker, Plato, Aristoteles haben gerade in der Schaffung von Begrifflichkeiten über die Scholastiker eine ungeheuer große Wirkung entfaltet.

Hat das israelitische Menschenbild keine kerygmatische Bedeutung?

Die Widerstände gegen eine Fixierung auf terminologische Untersuchungen sind aus den damaligen Fachdiskussionen heraus verständlich und gut begründet. Wenn heute dieselben Vorbehalte als ceterum censeo wieder erscheinen, dann dürfte jedoch noch ein weiterer, theologischer Grund im Spiel sein.
Die Wiederentdeckung der alten Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens im 19. Jahrhundert konfrontierte die Bibelwissenschaft mit der Tatsache, dass Israel und die Bibel relativ junge Größen im Kontext des Alten Orient waren. Die Religionsgeschichtliche Schule unter Hermann Gunkel hat sich dann eine Zeit lang sehr darum bemüht, die Bibel in diesen neu entdeckten Zusammenhängen zu verstehen. Was Israel mit den Nachbarvölkern verbindet, stand im Vordergrund, nicht was es unterscheidet. Die Arbeit der Religionsgeschichtlichen Schule geriet durch die Kontroverse um die Panbabylonisten und die Vorträge von Friedrich Delitzsch in ein schlechtes Licht. Vor allem aber verhinderten die politischen Entwicklungen im Vorfeld des Nationalsozialismus, dass dieser Ansatz weiter verfolgt wurde. Gegen den Wahnsinn einer verabsolutierten Geschichte, eines Dritten Reiches, des Führers und seines Heils, kam nur die dialektische Theologie mit ihrer herrschaftskritischen Botschaft von der Heilsgeschichte, dem Reich Gottes, dem wahren Herrn Jesus Christus und seinem Heil auf. In der alttestamentlichen Forschung gerieten in diesen Jahren die Schöpfungserzählungen aus dem Blick, auch die Weisheitstraditionen. Man konzentrierte sich auf den Exodus und die Prophetie, auf die von oben hereinbrechende, geschichtliche Offenbarung, auf das Besondere Israels und der Menschwerdung Jesu. So verständlich diese Reaktion auf die Zeitgeschichte war, so problematisch ist, dass damit Fixierungen entstanden, die nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute nicht ganz aufgebrochen sind. [14] Eine dieser Fixierungen ist, dass – ähnlich den Schöpfungstraditionen – das Menschenbild Israels keinen Offenbarungswert haben soll, weil es ja nur (!) kulturelles Gemeingut des Alten Orient ist. [15] Brevard S. Childs hat das Problem folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Eine schwierige theologische Frage ist die Bewertung der Bedeutung dieser Terminologie. Es ist unmittelbar einsichtig, dass sie keine Perspektive entwirft, die für das Alte Testament einzigartig wäre, sondern dass man zahllose Parallelen aus den Kulturen der altorientalischen Umwelt beibringen kann. Die hermeneutische Frage ist schwierig und erfordert feinsinnige theologische Reflexion. Einerseits ist die Anthropologie, wie sie sich in der hebräischen Terminologie zeigt, ein kulturelles Vermächtnis und kann nicht direkt mit Israels Glaubenszeugnis identifiziert werden. Aus diesem Grunde kritisierte von Rad Eichrodts Behandlung des Menschen und seiner Glaubenswelt (Theologie des Alten Testaments, I, 127), weil dieser die Kultur mit dem »Kerygma« vermischt hat. Auf der anderen Seite hat Israel sein theologisches Verständnis vom menschlichen Sein mit Hilfe der Terminologie ausgedrückt, die es geerbt hat. Es ist keine scharfe Trennung möglich, aber der hermeneutische Schlüssel liegt darin, in den eigentlichen Inhalt von Israels Zeugnis einzudringen. Versuche, aus Sprachkonventionen eine spezielle hebräische Mentalität abzuleiten oder anthropologische Strukturen, die auf der Ontologie begründet sind, zu rekonstruieren, führen eher in die Irre...“ [16]

Bezüglich der Schöpfungstraditionen ist inzwischen eine Revision im Gang, die schon der späte Gerhard von Rad eingeläutet hatte. Israel hatte einen eigenen, nicht nur entliehenen Schöpfungsglauben. Auch das Menschenbild Israels ist aber mit seinem Glauben engstens verbunden, es ist nicht als etwas Fremdes aus der Umwelt entliehen, es überschneidet sich nur zu sehr großen Teilen mit den Vorstellungen der Nachbarkulturen. Wenn das so ist, dann steckt natürlich auch in dem kulturell, ja gemeinorientalisch geprägten Menschenbild, eben dem Teil, der u.a. in den Schlüsselwörtern sichtbar wird, potentiell ein kerygmatischer Teil. „Der Same der göttlichen Offenbarung ist nicht allein auf jüdischen Boden ausgestreut worden“, wie Gunkel im Anschluss an Origenes und Eusebius postulierte. Wir sollten daher auch den großen Nachbarreligionen Israels mit einem gewissen Maß an Pietät gegenübertreten. Menschenbilder antiker Kulturen könnten, indem sie bewahrt worden sind, tatsächlich eine Botschaft an spätere Kulturen formulieren, vielleicht auch einmal den Aufruf zur heilsamen, zur korrigierenden Erinnerung. Die biblische Tradition mitsamt ihrem kulturellen Umfeld ist, was die Anthropologie betrifft, kerygmatisch nutzbar. Diese Kulturen unterstützen uns Feministinnen, nicht weil sie besonders frauenemanzipatorisch gewesen wären, sondern durch ihre befremdende Kraft, indem sie uns helfen Denkschemata zu durchbrechen. In ihrem Erbe stecken bisweilen Weisheiten, die heute Schritt um Schritt von den empirischen Wissenschaften erst zurückgewonnen werden, z.B. von der Psychosomatik, oder von der Neurologie.

Um zu erkennen, was Israel mit seinen Nachbarn an Vorstellungen teilt, muss man also den größeren Kulturkreis kennen. Nicht die propagandistisch-biblischen Kategorien von Israel einerseits und den Völkern andererseits können dabei zugrundegelegt werden, sondern es sollen unter Berücksichtigung möglichst aller zur Verfügung stehenden Quellen geographische, geschichtliche, wirtschaftliche, politische, soziale, geschlechts- und rollenspezifische Lebenskontexte erschlossen werden. Eine Aufgabe ist, die hebräischen Terminologien im ausgeweiteten Kulturraum zu verorten, einerseits sprachlich, wobei vor allem natürlich die westsemitischen Sprachen relevant sind, aber auch nach Kontinuität und Ähnlichkeit zwischen sumerischen und hebräischen oder ägyptischen und hebräischen Wortfeldern gefragt werden soll, andererseits bildhaft, also in Bezug auf die Bildkunst Palästinas/Israels und der großen Nachbarkulturen. [17] Einen Vergleich zwischen der israelitischen und zeitgleichen oder traditionellen ägyptischen Anthropologie [18] hat m.W. noch niemand unternommen. Darüber hinaus ist es immer, besonders aber auch im Blick auf Genderfragen außerordentlich aufschlussreich, Text- und Bildbefunde als Ganze nochmals in ihren Aussagen miteinander zu konfrontieren oder sie zu vergleichen.

Weder »mind and body« noch »Körper, Seele, Geist«

Im Schnittpunkt von Texten, Bildern und Kulturen liegen viele neue Fragen und manchmal auch heilsame Irritationen für feministische Körperkonzepte. Dies möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen, die für die Einbindung der Texte und des israelitischen Menschenbildes in das gesamtorientalische Denken stehen.

Der Sitz des Denkens ist das Herz

Seit dem Neolithikum sind in der Kunst des Vorderen Orient, auch Palästinas/Israels, Frauenbilder mehrheitlich Darstellungen des ganzen, nackten Frauenkörpers, während Männerbilder in den frühen Epochen viel häufiger auf den Kopf reduziert sind. Vor jedem Kiosk kann man heute auf den Illustrierten dasselbe Phänomen beobachten. Aber bedeutet der Kontrast im Neolithikum dasselbe wie heute? Wie kommt es zu dieser – bestimmt nicht natürlichen, sondern kulturell geprägten – Fixierung von Frauen auf ihre nackte Körperlichkeit? Was bedeutet der männliche Kopf und der nackte weibliche Körper, welche Assoziationen haben sie damals ausgelöst, wie wurden sie wahrgenommen? Für unsere Kultur können wir einigermaßen treffsicher sagen: Der männliche Kopf insinuiert Verstand, Denken, Ratio, während der weibliche Körper mit Gefühl, sinnenhafter Wahrnehmung, Erotik verbunden wird. Aber das war in der orientalischen Antike nicht so. Der Kopf wurde, da die Funktionen des Gehirns nicht bekannt waren, gar nicht mit Denken in Verbindung gebracht. Der Sitz des Verstandes war vielmehr das Herz und zwar nicht nur in Israel, sondern auch in Mesopotamien, in Ägypten und sogar noch bei den Stoikern.

Ich rekurriere für die sumerische Sprache auf einen detaillierten Beitrag von Julia M. Asher-Greve über „The Essential Body: Mesopotamian Conceptions of the Gendered Body“. [19] In ihrem Artikel weist sie nach, dass die griechisch-abendländische Spaltung von Geist und Körper mitsamt ihren Gendervorzeichen (Mann = Geist und Frau = Körper) für das alte Mesopotamien überhaupt nicht zutrifft. Sumerisch šu und šu-bar bezeichnen sichtbare Körper, z.B. eines Königs, einer Gottheit, einer Stadt, eines Landes. Das Wort kann auch »nackt« oder »Bild« bedeuten. Sumerisch ša bedeutet eigentlich Herz und steht dann für innere Organe, aber auch Sinnen, Planen, Begehren und die Mitte also ganz wie im Hebräische leb. Wissen und Fühlen wurde dort verankert. [20] Es gibt keinen sumerischen Begriff für Geist oder Denken. Weisheit hat im Sumerischen mehr mit Hören zu tun. Der Kernbegriff ša bezeichnet nicht etwas im Körper, sondern das Zentrum einer Geist-Körper-Einheit. Diese Ganzheit spiegelt sich in den sumerischen Schöpfungserzählungen, insofern die Menschenerschaffung in einem einzigen Akt geschieht. Sehr ähnlich wie im Sumerischen sind die Vorstellungen, die sich im Akkadischen vor allem mit libbu und einigen teilsynonymen Begriffen verbinden. [21]

In Ägypten spielt das Herz ebenfalls eine zentrale Rolle in der Anthropologie. [22] Es ist der Sitz des Denkens und Planens, aufgrund dessen aber auch des Gemütes, der emotionalen Befindlichkeiten usw. Es verarbeitet die Sinneswahrnehmungen und leitet seine Erkenntnisse allenfalls weiter bis zur Zunge. Dieser Zusammenhang ist der Grundgedanke des Denkmals memphitischer Theologie, in dem die ganze Schöpfung aus dem einen Ptah nach einem anthropologischen Modell beschrieben wird. [23] Stärker als im Hebräischen ist für das ägyptische Herz die Bedeutung »Gewissen« anzunehmen. Im Totengericht sagt das Herz zu Gunsten oder zu Ungunsten seines Besitzers oder seiner Besitzerin aus. Es ist das Herz, das auf der Waage gegen die Maat aufgewogen und allenfalls in den Schlund der Totenfresserin geworfen wird.

Während bei Homer und Hesiod mit dem menschlichen Herz noch sehr ähnliche Vorstellungen wie im hebräischen Sprachgebrauch verbunden sind, gab es in der späteren Tradition zwei Hypothesen zum Sitz des Denkens. Alkmaion von Kroton, die Hippokratiker und Platon nahmen an, dass der vernunftbegabte Seelenteil im Gehirn angesiedelt sei, während die sizilische Ärztetradition, Aristoteles und die Stoiker die Seele und die Denkkraft weiterhin im Herz verorteten. [24] Aristoteles hat in seiner Schrift „Partes animalium“ (686a.27-31) ausgeführt, dass der Mensch, seinem Wesen nach göttlich, von den Göttern durch den aufrechten Gang vor allen Tieren bevorzugt worden sei. Da es die Aufgabe des Göttlichen sei, zu denken und intelligent zu sein, wäre ein nicht aufrechter Gang ganz hinderlich, weil dann ein schwerer Oberkörper darauf – er meinte auf dem Herzen – liege, was die Denkkraft (dianoia) und das Bündeln der Sinneswahrnehmungen lähme. [25]

Männerkopf und Frauenkörper – der Kontrast bedeutete also in der Antike nicht dasselbe wie heute. Der Kopf betont in den Bildern wie auch in der hebräischen Sprache (roš) eher patriarchale, herrschaftliche Aspekte im Sinn von Oberhaupt, vielleicht auch die Ehre eines Mannes, eines pater familias oder einer ganzen Sippe. Er repräsentiert jedenfalls als pars pro toto eine einzelne oder kollektive Körperschaft bzw. deren Vertreter. [26] Wenn der männliche Kopf nicht Verstand und Denken symbolisiert, dann ist auch die Bedeutung des weiblichen Körpers möglicherweise eine andere als die von uns modernen, westlichen Frauen angenommene. Steht der Symbolik von Macht (und Ehre?) des männlichen Hauptes der verfügbare, grundsätzlich ehrlose weibliche Körper gegenüber? Oder eine andere Art von sozialer Macht? Noch kann diese Frage nicht beantwortet werden.

Der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Nacktheit in der Kunst des Vorderen Orients und in biblischen Texten

Weibliche und männliche Nacktheit in der Kunst sind ein sehr komplexes Phänomen, das hier nur ausschnittartig und skizzenhaft thematisiert werden kann. Ich konzentriere mich im Folgenden auf den Vorderen Orient.
Die nackten Frauenfigürchen des Neolithikums (Abb. 1), die den wiederbelebten, häufig männlichen Toten(-köpfen) des Ahnenkults (Abb. 2) gegenüberstehen, sind eher Idole der Fettleibigkeit und der Sesshaftigkeit als der Erotik oder Fruchtbarkeit. Sie stellen das Ideal einer Gesellschaft dar, in der die Menschen gewöhnlich von Unter- oder Fehlernährung und Hunger, aber nicht von Übergewicht bedroht waren. Die Leibesfülle, die Fülle an Fleisch (hebr. basar), steht für Lebensfülle, Wohlstand und Status, ob der Frauen selbst oder der männlichen Elite dieser frühen Dorfkulturen, bleibt offen. Vielleicht wurde mit den fetten Frauenkörpern auch soziale Bindung (basar im Sinne von Verwandtschaft) assoziiert. Im weiblichen Körper manifestiert sich jedenfalls nach Ausweis der Kunst das erwachende Selbstbewusstsein der Menschen und die Loslösung von der Macht der Toten bzw. der verstorbenen Oberhäupter. Im Chalkolithikum wird das Gegenüber von Mann und Frau und die Schwangerschaft thematisiert, jedoch singulär, nicht in einer Massenproduktion. Das Leitmotiv dieser Epoche sind die (machthabenden) Köpfe, vor allem Capridenköpfe und Männerköpfe. Es geht um menschliche und göttliche Macht und die Führer. [27]
Ab dem 3. Jahrtausend gibt es eine starke genderspezifische Differenzierung bei der Darstellung von Nacktheit, sehr ähnlich wie in Ägypten. [28] Bei der männlichen Nacktheit wird unterschieden zwischen natürlicher Nacktheit (bei körperlicher Arbeit usw.(Abb. 3)), funktionaler Nacktheit (beim Geschlechtsverkehr) und ideeller Nacktheit (sechslockiger Held, Gefangene, Kultdiener). Im 2. Jahrtausend geht die Darstellung männlicher Nacktheit in einigen Bereichen stark zurück. Kinder werden hingegen weiterhin nackt dargestellt.
Männer agieren schon im 3. Jahrtausend nackt im Kult, um ihre Selbsterniedrigung vor und Dienerschaft gegenüber der Gottheit zu unterstreichen (Abb. 4). Heroen oder heroisch kämpfende Götter werden nackt dargestellt, um ihre übermenschliche Kraft, vielleicht auch ihre Nähe zur „Wildnis“ zu betonen (Abb. 5). Auch männliche Gefangene (Abb. 6), Gepfählte und niedergestreckte Feinde sind nackt. Zainab Bahrani hat ganz richtig gesehen, dass die neuassyrische Kunst hier eine Skala des Nacktseins bis zum Tod kennt. [29] Wer in dieser Weise entblößt ist, steht schon mit einem Bein im Grab. Frauen werden nun aber in den entsprechenden Szenen nie nackt dargestellt, im Kult nicht und bei Kriegsdarstellungen nicht (Abb. 6). Nicht einmal die Nomadinnen, die von assyrischen Soldaten massakriert werden, sind nackt. Sie sind immer bekleidet.
Wenn Frauen oder Göttinnen unbekleidet auftreten oder sich selbst entschleiern, dann nicht in narrativen Zusammenhängen, sondern indem sie den Blick auf ihren nackten, meistens sogar sich frontal dem Betrachter zuwendenden Körper ziehen (Abb. 7-9). Diese Frauenidole sind über Jahrhunderte weit über den Vorderen Orient [30] verbreitet. Sie wurden in Kult- und Wohnräumen wie auch in Gräbern gefunden. Diese weibliche Nacktheit ist eindeutig erotisch konnotiert, sie ist ikonenhaft, sie verlangt und offeriert Betrachtung, Anstarren, Andacht, Anbetung. Die Frage ist, ob darin vorrangig eine weibliche Potenz, ähnlich der männlichen heroischen, angedeutet ist (so Asher-Greve), oder der voyeuristische patriarchale Blick, der die weibliche Nacktheit zum Objekt androzentrischer Bedürfnisse und Wünsche macht (so Bahrani [31] ). Beides ist denkbar. [32]

Zwischen dem ikonologischen Befund der Bildkunst und der Bedeutung von Nacktheit in den biblischen Texten gibt es durchaus Vergleichbares, aber auch Unterschiede. Das hebräische Wort ‘arom bedeutet bloß, ohne Status. Nackt und ohne Status kommt ein Säugling auf die Welt, und ebenso nackt geht der Tote wieder zurück in die Erde (Ijob 1,21). Kleider und ggf. Schmuck brachten hingegen die gesellschaftliche Stellung eines Menschen zu Lebzeiten zum Ausdruck. Arme waren gezwungen, nackt herumzulaufen (Ijob 24,7). Groß war die Erniedrigung durch aufgezwungene Nacktheit. Kriegsgefangene wurden ohne Kleider und barfuß abgeführt, die Frauen der Besiegten entblößt (Nahum 2,8) und geschändet. Mit einem solchen Schicksal drohten die Propheten häufig dem Volk Israel (Jesaja 20,2-4; Hosea 2,5; Ezechiel 16,39; 23,10.39; Nahum 3,5). Die Entblößung von Männern z.B. in Trunkenheit wurde als beschämend empfunden (Genesis 9,22f). Entblößung von Frauen als Schändung wird bei Ezechiel erschreckend lustvoll ausgemalt. Hier wird das in der Bildkunst positive Bild der erotisch oder gar sexuell auffordernden Frau politisch metaphorisch eingesetzt und dabei polemisch-karikierend gekippt. Es kennzeichnet das politische Prostitutionsverhalten von Städten bzw. ihren Bevölkerungen oder Machthabern.
Die erotische Liebe (Hoheslied), die Mann und Frau in das Paradies zurückzuversetzen vermag, kennt freiwillige Nacktheit. Als Akt der Selbstminderung ist die Entblößung des Oberkörpers in der Klage von Frauen textlich wie bildlich gut bezeugt. Im Kult der in Palästina/Israel verwurzelten kanaanäischen Religion war männliche Nacktheit zu Ehren der Gottheit noch geschätzt. Während David nach 2 Samuel 6 bei der Überführung der Lade mit Hingabe halbnackt vor JHWH tanzt, legen die Erzähler seiner Frau Michal die später in Israel dominante Ablehnung jeder kultischen Nacktheit in den Mund. [33]
Männliche Nacktheit ist in den biblischen Texten von ähnlich vielfältiger Symbolik wie in der Kunst des Vorderen Orients. Weibliche Nacktheit ist in der Schwebe zwischen erotischer Ausstrahlung und Beschämung durch patriachalen Voyeurismus. Anders als in der Kunst wird auch männliche Nacktheit im Hohenlied als erotisch faszinierend beschrieben. Anders als in der Kunst spielt weibliche Nacktheit als erotische Nacktheit in den biblischen Texten eine untergeordnete Rolle. Anders als in der Kunst wird die Zurückhaltung gegenüber der Entblößung von Frauen in den Texten durchbrochen. [34]

Nach diesen Beispielen, die die Notwendigkeit der Vernetzung feministisch-biblischer Anthropologie in den Disziplinen aufzeigen sollten, möchte ich abschließend noch in einem eher stichwortartigen Ausblick Bereiche benennen, die für feministische Fragen nach den biblischen Körperkonzepten besonders verheißungsvoll scheinen.

Die offenen Grenzen der Leiber

Der menschliche Leib ist nach israelitischer und altorientalischer Vorstellung nicht identisch mit dem physischen Körper aus Knochen und Fleisch. Dass es nach dem Tod zwar kein Weiterleben, aber doch ein Weiterexistieren in der Totenwelt gibt, ist eine im antiken Mittelmeerraum verbreitete Vorstellung. [35] Diese Existenzform war schattenhaft, bedauernswert, aber durchaus an die individuelle verstorbene Person gebunden. Den Verstorbenen traute man zu, dass sie Lebenden schaden oder nützen konnten. Eine Kontaktaufnahme mit diesen Schatten in der Unterwelt war möglich durch Briefe und Opfergaben, oder durch SpezialistInnen. [36] Die berühmte Totenbeschwörung in 1 Samuel 28 zeigt, dass der verstorbene Samuel in seiner Erscheinungsweise, obwohl kein irdischer Mensch mehr, noch dem lebenden Samuel gleicht, sodass ihn Saul auch gleich erkennt. Er reagiert ungehalten auf die Ruhestörung, lässt sich aber wie ein Lebender auf das nunmehr unvermeidliche Gespräch ein. Der Tote ist eine wissende, sozial agierende Person. Er hat gewiss keinen Körper aus Fleisch und Blut, aber er ist noch irgendwie person- und gestalthaft. Leiblichkeit war also in Israel nicht an den physischen Körper gebunden. Der Körper von Mensch wie Tier wurde Staub. Was ihn belebt hatte, Gottes Atem, verließ ihn beim Tod. Mit den Knochen ist man nach Ausweis der Archäologie nach gebührender Zeit dann auch nicht zimperlich umgegangen. Sie wurden zusammengefegt, wenn kein Platz mehr in der Grabkammer war.
Eine Möglichkeit einen neuen, einen weiteren Leib anzunehmen, bestand in der Herstellung von Statuen, von Bildern. Diese Möglichkeit hatten die BeterInnen in den Tempeln, die sich vor der Gottheit in ewiger Anbetung repräsentieren ließen, diese Möglichkeit hatten vor allem aber auch die Gottheiten. Sie inkarnierten sich in ihre Götterbilder hinein, wozu eine besondere Beauftragung eines königlichen Stifters und besondere geheime Zauberkräfte von beauftragten Kunsthandwerkern sowie ein Mundöffnungsritual nötig waren. Die Götterbilder wurden denn auch weitgehend wie menschliche Körper gepflegt und mit Nahrung versorgt. [37]
Die Vorstellungen von Körper- und Leibhaftigkeit, die in biblischen Texten dokumentiert sind, decken sich also nur teilweise mit den uns vertrauten. Neben existierenden körperhaften Wesen, die nicht mehr leben, gibt es auch leibhaftige Erscheinungen übermenschlicher Wesen wie der Engel. Sie sind sichtbar, sie kommunizieren wie Menschen. Im Ersten Testament ist ihr Genderzeichen eindeutig männlich, erst im Neuen Testament gibt es Hinweise auf eine bedeutende Diskussion über die Geschlechtslosigkeit der Engel (Markus 12,25) und ihre Unsterblichkeit (Lukas 20,36). Das plötzliche Kommen und Gehen der Engel ist das einzige Indiz für ihre nicht-irdische Körperhaftigkeit, ansonsten ähneln sie in ihrer Erscheinungsweise Menschen. [38]
Wenn im Neuen Testament die einzige absolute Grenze zwischen Gott und Mensch, nämlich basar, aufgegeben wird und Gott Fleisch annimmt (kai ho logos sarx egeneto), so muss das für alle antiken Ohren ganz ungeheuerlich geklungen haben. In umgekehrter Richtung wird nun in letzter Konsequenz der irdische, vergängliche Körper in die Hoffnung auf Auferstehung einbezogen. Überall beginnen die Grenzen zu fließen. Bei der Verklärung Jesu sehen seine Freunde keinen Körper, sondern einen Leib, der schon transparent geworden ist auf die göttliche Wirklichkeit hin (Markus 9,2-13 parr). Tote werden auferweckt. Und der Auferstandene erscheint den JüngerInnen in einer vertrauten, irgendwie körperhaften Weise. Ja, das Johannesevangelium treibt die Körperlichkeit dieser Erscheinungen so weit, dass der zweifelnde Thomas sich durch die Berührung des hingerichteten Körpers Jesu der Identität des Auferstandenen vergewissern darf (Johannes 20,24-29).
In diesen Grenzverrückungen liegt theologisch genügend Sprengstoff, um auch die modernsten Körperdiskurse aufzuwühlen.


 

[1] Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Stuttgart 2003. Der vorliegende Beitrag geht zurück auf den Festvortrag am Marburger Symposion anlässlich der Vernissage des Buches (16.-17. Mai 2003).

[2] Die Habilitationsschrift von Renate Jost „Aus der Wildnis. Feministisch-exegetische Studien zum Verhältnis von Gender, Sexualität und Macht in der Anthropologie des Richterbuches“ (Neuendettelsau 2002) stellt eine höchst spannende Verbindung zwischen einem biblischen Buch und Ansätzen der ethnologischen Anthropologie her (vgl. dazu Henrietta L. Moore, Mensch und Frau sein. Perspektiven einer feministischen Anthropologie, Gütersloh 1990; Gabriele Rippl (Hg.), Unbeschreiblich weiblich. Texte zur feministischen Anthropologie, Frankfurt a.M. 1993.

[3] Vgl. Dorothea Dornhof, Artikel „Körper als kulturelle Konstruktion“, in: Elisabeth Gössmann u.a. (Hg.), Wörterbuch Feministischer Theologie, Gütersloh 2. Auflage 2002, 339-341.

[4] Vgl. den Ansatz feministischer Befreiungstheologie, wie er dargestellt ist in: Andrea Blome, Frau und Alter. „Alter“ – eine Kategorie feministischer Befreiungstheologie, Gütersloh 1994, bes. 14-19.

[5] Elisabeth Gössmann u.a. (Hg.), Wörterbuch Feministischer Theologie, Güttersloh 2. Auflage 2002, 331-343.

[6] Auch den Herausgeberinnen und Autorinnen des neueren Buches „KörperSinnE“ ist diese Gratwanderung zwischen Diskurs und Erfahrung gelungen: Béatrice Bowold u.a. (Hg.), KörperSinnE. Körper im Spannungsfeld von Diskurs und Erfahrung (gender wissen 2), Bern/Wettingen 2002.

[7] Anna Kiesow, Auf der Suche nach dem Menschen. Forschungsüberblick zu „Anthropologien des Alten Testaments“, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.) 2003, 29-41, Zitat 35.

[8] James Barr, The semantics of biblical language, London 1961 (deutsch: Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965).

[9] Vgl. zum Folgenden Silvia Schroer / Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998, bes. 17-20.

[10] Wolfgang Helck / Eberhard Otto u.a. (Hg.), Lexikon der Ägyptologie, Bde. 1-7, Wiesbaden 1975-1992.

[11] Vgl. den Forschungsbericht von Julia Müller-Clemm, Archäologische Genderforschung: (K)ein Thema für die Palästina-Archäologie? Ein Forschungsüberblick mit Beispielen zur ‘Archäologie des Todes’, in: lectio difficilior 2/2001 (www.lectio.unibe.ch/01_2/mc.htm)

[12] Vgl. beispielsweise Markus Zehnder, Exegetische Beobachtungen zu den David-Jonathan-Geschichten: Biblica 79 (1998), 153-179.

[13] Vgl. Silvia Schroer / Thomas Staubli, »Jonathan aima beaucoup David«. L’homoérotisme dans les récits bibliques concernant Saul, David et Jonathan: Les Cahiers bibliques de »Foi et vie« 99,4 (2000), 53 – 64, sowie Martti Nissinen, Die Liebe von David und Jonatan als Frage der modernen Exegese: Biblica 80 (1999) 250-263.

[14] Vgl. ausführlicher den Forschungsbericht von Silvia Schroer / Othmar Keel, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Freiburg CH/Göttingen 2002, 15-29.

[15] Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, München 1960, 71980, 369f.

[16] Brevard S. Childs, Die Theologie der einen Bibel, Bd. 2, Hauptthemen, Freiburg i.Br. 1994/Darmstadt 2003, 271f.

[17] Texte und Bilder sind gleichermaßen verdächtig, weniger deskriptiv zu sein als sie vorgeben. Sie transportieren Ideologien, sie stellen Performationen dar, sie könnten sogar in manchen Fällen präskriptiv sein. Auch die älteste und einfachste Kunst der Menschheit ist nicht naiv. Sex und Gender werden übrigens in der Bildkunst von den Anfängen an unterschieden. Viel häufiger als durch primäre Geschlechtsmerkmale sind Männer und Frauen durch Haartracht, Kleidung, Gesten und Rollen erkennbar. In Ägypten wurden männlich konnotierte Rollen wie das Niederschlagen der Feinde problemlos auf eine Pharaonin wie Hatschepsut übertragen, und die Totenbücher lassen auch Frauen als Osiris im Totenreich erstehen.

[18] Vgl. zum ägyptischen Menschenbild Siegfried Morenz, Gott und Mensch im alten Ägypten, Leipzig 1964, Zürich/München 21984.

Anders als die IsraelitInnen haben die ÄgypterInnen offenbar schon sehr früh den Menschen als eine komplexe Einheit von verschiedenen Personenaspekten verstanden, darunter Ka, Ba und Ach. Der Schöpfergott Chnum erschafft das Königskind und seinen Ka. In der Totenwelt existieren die Verstorbenen als Ba-Vögel, als Seelenwesen, die aber auch essen und trinken müssen. In Ägypten hat man mit einem Weiterleben nach dem Tod gerechnet und dafür alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt. Der tote Körper musste für das ewige Leben mit allen Mitteln bewahrt und durch Zauberkräfte geschützt werden. Er vereinigte sich dann beim Begräbnisritual, der Mundöffnung, wieder mit seinem Ka. Das Leben im Jenseits ist ein verklärtes Dasein, aber dem irdischen Leben sehr ähnlich. Es wird gearbeitet und gegessen, die Beziehungen, z.B. eine Ehe, bleiben bestehen. Eine eigentliche Trennung von etwas Geistigem und dem Körper gibt es also auch hier nicht. Die Person braucht zum Personsein unbedingt, sogar postum, ihren Körper.

[19] In: Maria Wyke (ed.), Gender and the Body in the Ancient Mediterranean, Oxford 1998, 8-17. Die sumerische Sprache kennt kein grammatikalisches Geschlecht. In der Schrift werden menschliche Körper gekennzeichnet:

1) als Geschlecht durch Genitalien, Brüste, Bärte

2) durch Gendermarkierungen wie Kleider, Haartracht, usw.

3) als asexuell oder uneindeutig

lu = Person, nita (Penis) = Mann, munus (Vulva) = Frau

Der Oberbegriff Mensch ist also nicht geschlechtsspezifiziert, er geht dem Geschlecht voraus. Bei Übersetzungen müsste lu immer geschlechtsneutral wiedergegeben werden. Im Hebräischen ist das bekanntermaßen anders. ’adam ist ein Oberbegriff, der aber zu wenig deutlich von ’iš unterschieden wird.

[20] (me-)dim bezieht sich auf die Form und Gestalt, es stammt wie hebr. jsr aus der Handwerkersprache und meint das geschaffene, künstlerisch geformte Objekt, eben auch, vor allem in Schöpfungserzählungen, den geschaffenen menschlichen Körper.

[21] R. Labat, Artikel „Herz“, in: Reallexikon der Assyriologie 4, 367f.

[22] Helmut Brunner, Art. „Herz“, in: Lexikon der Ägyptologie II 1158-1168; vgl. ders., Das hörende Herz. Kleine Schriften zur Religions- und Geistesgeschichte Ägyptens, hg. von W. Röllig (Orbis Biblicus et Orientalis 80), Freiburg CH/Göttingen 1988.

[23] Vgl. Keel/Schroer 2002: 170-173; neueste Übersetzung in: Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 166-175.

[24] Johannes B. Bauer, Art. Herz, Reallexikon für Antike und Christentum 14, 1099f.

[25] Othmar Keel, Die Tiere und der Mensch in Daniel 7, in: Othmar Keel/Urs Staub, Hellenismus und Judentum. Vier Studien zu Daniel 7 und zur Religionsnot unter Antiochus IV. (Orbis Biblicus et Orientalis 178), Freiburg CH/Göttingen 2000, 1-35, bes. 26f.

[26] Vgl. Keel / Schroer 1998, bes. 53f.

[27] Sprachlich haben sich Zusammenhänge dieser frühen Epoche bis in die biblische Zeit bewahrt. Hebräisch ’ajil bedeutet »Widder«, aber auch Gewalthaber (Exodus 15,15; Ezechiel 17,13), ‘attud bezeichnet den Ziegen- oder Schafbock, im übertragenen Sinn aber auch den Anführer (Jesaja 14,9; Sacharja 10,3).

[28] Vgl. Peter Behrens, Art. „Nacktheit“, in: Lexikon der Ägyptologie IV, 292ff.; vgl. zur griechischen Antike Dietrich Willers, Art. „Nacktheit“, in: Der Neue Pauly 8, 674-678.

[29] Zainab Bahrani, Women of Babylon. Gender and Representation in Mesopotamia, London/New York 2001, bes. 59-65.

[30] Die offene Diskussion um die Deutung der in Ägypten verbreiteten sog. „Beischläferinnen“, nackter Frauenstatuetten, die häufig in Gräbern gefunden wurden, muss hier ausgeklammert werden.

[31] Bahrani 2001, bes. 70-95.

[32] Vgl. ausführlich Christoph Uehlinger, Art. „Nackte Göttin, B. In der Bildkunst“, in: Reallexikon der Assyriologie 9, 53-64.

[33] Auch in Mesopotamien veränderte sich die Einstellung zur Nacktheit, sie wurde im 1. Jahrtausend nur noch sehr selten dargestellt (nackte Kinder); vgl. Ursula Seidl, Art. „Nacktheit, B. In der Bildkunst“, in: Reallexikon der Assyriologie 9, 66-68.

[34] In diesem Zusammenhang wäre auch das nicht ganz konvergierende Bild der Frauenbrüste in Texten und Bildern zu behandeln. In den Texten sind sie hauptsächlich mit Ernähren und Segenssymbolik assoziiert, seltener erotisch konnotiert, wenngleich die hebräischen Liebeslieder den Brüsten weit mehr Bedeutung zumessen als der Vulva. In den Bildern aber ist die erotische Funktion viel augenfälliger, da das Stillen von Kindern eher selten dargestellt wurde.

[35] Vgl. dazu Silvia Schroer, Häusliche und außerhäusliche religiöse Kompetenzen israelitischer Frauen – am Beispiel von Totenklage und Totenbefragung (www.lectio.unibe.ch/02_1/inhalt_d.htm)

[36] Josef Tropper, Nekromantie. Totenbefragung im Alten Orient und im Alten Testament (Alter Orient und Altes Testament 223), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1989.

[37] Angelika Berlejung, Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik (Orbis Biblicus et Orientalis 162), Freiburg CH/Göttingen 1998.

[38] Selten legen Erzählungen nahe, dass auch Gott selbst sich in konkreter, voller Menschengestalt zeigt, z.B. wenn Abraham und Sara die drei Männer in Mamre gastlich bewirten oder wenn Jakob am Jabbok mit dem Unbekannten ringt. Theophanien überschreiten die menschliche Körperhaftigkeit. Gott erweist sich im Gewitter, im brennenden Dornbusch, im sanften Wind, in der Feuersäule oder Wolke.

Abbildungen

Drei bemalte Tonfiguren aus Syrien, Höhe der größten Figur 7,8 cm, 6. Jahrtausend v. Chr.. Aus den Sammlungen des Departements für Biblische Studien, Fribourg.

Kalksteinmaske, einem Totenschädel nachgebildet, aus der Gegend von Hebron (9./8. Jahrtausend v. Chr.), in Jerusalem. Solche „Masken“ wurden wahrscheinlich nicht getragen, sondern aufgehängt (vgl. die Perforationen). Manche sind bemalt, bei einigen sind deutlich Löcher zur Anbringung von Barthaaren (Wolle) zu erkennen, was auf einen patrilinearen Ahnen- oder Totenkult hinweisen könnte. Zeichnung: Departement für Biblische Studien, Fribourg.

Kalksteinrelief aus einem Pharaonengrab der 5. Dynastie (2500-2350 v. Chr.). Körperlich arbeitende Ägypter werden nackt oder fast nackt dargestellt, wie diese Hochseematrosen. Aus den Sammlungen des Departements für Biblische Studien, Fribourg.

Weiheplatte aus Ur (um 2500 v.Chr.), in London. Dargestellt sind in der oberen und unteren Szene Trankopfer für den Mondgott Nanna von Ur. Während die Familie, die unten mit einem Opfertier und weiteren Gaben zum Tempel kommt und oben zur Verehrung vor das Götterbild bzw. den Gott tritt, bekleidet dargestellt wird, ist der Priester, der die Libation darbringt, in beiden Szenen nackt. Zeichnung: Departement für Biblische Studien, Fribourg.

Akkad-zeitliches Rollsiegel (um 2350 v.Chr.). Menschliche wie göttliche Heroen treten nackt zum Kampf gegen wilde Tiere, dämonische Mischwesen u.a. an. Ihre Nacktheit hebt den Mut und die souveräne Überlegenheit hervor, stellt diese Heroen (hier ein sog. sechslockiger Held) dabei zugleich auf eine Stufe neben Tier-Mensch-Mischwesen, die die Wildnis verkörpern. Zeichnung: Departement für Biblische Studien, Fribourg.

Bronzerelief aus Balawat, Zeit Salmanassars III. (858-824 v. Chr.) mit Darstellung der Deportation der Bevölkerung einer syrischen Stadt (L.W. King, Bronze Reliefs from the Gates of Shalmaneser, King of Assyria B.C. 860-825, London 1915, Plate L untere Szene).

Altbabylonisches Rollsiegel (19./18. Jh. v. Chr.), in Paris. Die Göttin auf dem Podest ist nackt. Sie wendet sich aus der Bildszene heraus den BetrachterInnen zu. Ihr Partner, der Wettergott, ist hingegen bekleidet. Der Heros links trägt hingegen nur einen Gurt. Zeichnung nach: Urs Winter, Frau und Göttin (Orbis Biblicus et Orientalis 53), 1983, Abb. 86.

Skarabäus aus Palästina (1650 v. Chr.). In „splendid isolation“ erscheint die erotisch nackte Gestalt der Zweiggöttin ihren VerehrerInnen. Das Amulett bekam so die Funktion eines Andachtsbildes, einer kleinen, transportablen Ikone. Aus den Sammlungen des Departements für Biblische Studien, Fribourg.

Terrakottarelief aus Neirab (7./6. Jh. v. Chr.). Zahlreich sind die Figürchen von nackten, ihre Brüste präsentierenden oder auf ihre Scham weisenden Frauen oder Göttinnen aus der Levante. Sie wurden massenweise aus Billigmaterial (Ton) hergestellt. Urs Winter, Frau und Göttin (Orbis Biblicus et Orientalis 53), 1983, Abb. 29.

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Silvia Schroer,

ist Professorin für Altes Testament und Biblische Umwelt an der Christkatholischen und Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit altorientalischer Kunst und Religionsgeschichte und deren Relevanz für die Exegese, sowie mit Fragen der feministischen Exegese und Hermeneutik. Von ihr erschienen zahlreiche Bücher und Fachartikel zu verschiedensten Themen, zuletzt: Othmar Keel / Silvia Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Freiburg, Schweiz/Göttingen 2002 und Silvia Schroer / Sophia Bietenhard (eds.), Feminist Interpretation of the Bible and the Hermeneutics of Liberation (Journal for the Study of the Old Testament Supplement Series 374), Sheffield Academic Press, 2003.

© Silvia Schroer, 2003, lectio@theol.unibe.ch, ISSN 1661-3317

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